Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mafiatochter

Mafiatochter

Titel: Mafiatochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Gravano
Vom Netzwerk:
zu einem Metalldetektor, dann mit den anderen zusammen in einen Aufenthaltsraum, der wie ein kleines Auditorium aussah. Dort gab es zehn Stuhlreihen mit je sechs Sitzen. Die Wände waren weiß wie im Krankenhaus. Überhaupt wirkte das gesamte Gefängnis wie ein Krankenhaus. Alles war mucksmäuschenstill und steril.
    Jeder Besuchsgruppe wurde eine halbe Stunde zugestanden, um ihre Lieben oder eben nicht ganz so Lieben zu besuchen. Papa war zwar begeistert, wenn wir pünktlich zur verabredeten Zeit eintrudelten, doch bereitete ihm unsere Pünktlichkeit Schwierigkeiten mit John Gotti. Johns Besucher, meist sein Sohn John Jr. und sein Bruder Pete, verspäteten sich häufig. Dann beklagte er sich bei Sammy: »Ich stehe wie ein Vollidiot da, wenn deine Familie als erste hier ist und sich meine Familie nicht einmal blicken lässt. Du musst ihnen sagen, dass sie nicht so früh kommen sollen.« Ich hatte den Verdacht, dass es John nicht in erster Linie darum ging, dass er gut dastand, sondern vielmehr, dass er mithören wollte, was Papa zu uns sagte. John hatte gern die Fäden in der Hand, selbst im Gefängnis noch.
    Mein Vater hatte es satt, dass sich John ständig über die Uhrzeiten beklagte, also sagte er eines Tages zu Mama: »Hör mal, Deb, ich weiß, dass du es immer eilig hast, mich zu besuchen. Von jetzt an aber warte bitte, bis John Jr. und Pete soweit sind, dann könnt ihr alle zusammen zu uns kommen.« Auch Pete drängte Mama. Er sagte: »Debbie, bitte warte auf uns, denn wenn wir nicht pünktlich sind, schimpft John: › Warum seid ihr Typen immer zu spät dran? Die sind pünktlich. Warum könnt ihr nicht auch pünktlich sein? ‹ « John nahm es immer sehr genau damit, wie etwas abzulaufen hatte.
    Wenn jemand einen Raum betrat, wurde von ihm erwartet, dass er den Anwesenden in einer bestimmten Reihenfolge die Hände schüttelte: John kam als Erster, Papa als Zweiter, und immer so fort, der internen Rangordnung folgend. In Johns Augen war es für ihn daher sehr wichtig, dass man ihn zur selben Zeit wie meinen Vater aus der Zelle holte. Ich kam nie darauf, warum, aber so wollte er es eben haben.
    Papa und John hatten jeweils eine Zelle in einem Flügel auf der Südseite des achten Stocks, passenderweise »Achter«genannt. Die Zellen bekamen wir jedoch nie zu Gesicht, da uns der Zugang nicht gestattet war. Wir trafen uns mit den Insassen immer im Besuchsraum, der ungefähr so groß war wie ein Grundschulklassenzimmer. Es gab keine Tische, sondern nur Stühle entlang der Wände. Die Insassen wurden zu sechst hereingeführt, und jedem war es gestattet, maximal drei Besucher zu empfangen, sodass bis zu vierundzwanzig Personen gleichzeitig den kleinen Raum bevölkerten.
    Die Vorderwand des Raumes war ganz aus Glas, und es gab immer einen Wachmann, der das Geschehen im Auge behielt – oder zumindest einen großen Teil davon. Von dem Augenblick an, in dem mein Vater und John im Achter eintrafen, hatten die Wärter Respekt vor ihnen: Oh, mein Gott, das sind Sammy the Bull und John Gotti! Bei unseren Besuchen sahen sie daher in aller Regel weg. Die Wärter waren nicht die einzigen, die sich beeindrucken ließen.
    Andere Gefangene und ihre Besucher wollten ebenfalls den »Bullen« und den »Teflon-Don« kennen lernen. Sie waren Stars, besonders in New York, wo die Menschen Geschichten über den Mafia-Lifestyle liebten. Wenn man ein Gangster war, war man eine Berühmtheit, und Papa und John standen ganz oben auf der Liste. Besucher anderer Insassen gaben ihnen Snacks, Chips oder Schokoriegel aus dem Automaten. Mehr als einmal sah ich, wie Mithäftlinge die beiden ihren Besuchern vorstellten.
    Es verblüffte mich immer wieder, welches Maß an Respekt den beiden Männern entgegengebracht wurde. Obwohl sie grauenvoller Verbrechen beschuldigt wurden, mussten sie doch gute Menschen sein, weil sie von jedermann, von Frauen und Männern, Alten und Kindern so respektiert wurden. Mein Vater und John wurden des Mordes beschuldigt, und doch fiel es mir schwer, sie in diesem Licht zu sehen. Ich liebte Papa, und John war mir gegenüber immer nett und zuvorkommend gewesen. Er wirkte wie ein guter Familienvater. Er schickte Freunden, Verwandten und Menschen, die ihm wichtig waren, immer Blumen.
    Mein Vater war für mich mehr als nur ein Vater. Er war mein Freund und Beschützer. Es fiel mir schwer, seine andere Seite zu sehen, insbesondere, da so viele Menschen Papa und John so behandelten wie gerade beschrieben.
    Während unserer Besuche

Weitere Kostenlose Bücher