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Mafiatochter

Mafiatochter

Titel: Mafiatochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Gravano
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im MCC war es uns nicht gestattet, die Stühle zu verrücken, also mussten wir die Familie anstarren, die uns gerade gegenüber saß, und die Besucher neben uns konnten zweifellos so gut wie alles hören, was wir sagten. Natürlich bedeutete das, dass auch wir fast alles hören konnten, was die Anderen sagten, aber es interessierte mich nicht, worüber sie sprachen. Wir hatten nur eine halbe Stunde, und ich wollte mich strikt auf meinen Papa konzentrieren, also ignorierte ich die Anderen. Ohnehin versuchte jedermann, die anderen Leute so gut wie möglich auszublenden. Hier drinnen galten andere Verhaltensregeln, und besonders wichtig war es, die Privatsphäre anderer Menschen zu achten. Ich erinnere mich, dass ich einmal sah, wie ein Insasse und seine Besucherin zusammen in einen Waschraum schlichen. Mein Vater musste gesehen haben, wie ich dies beobachtete. Er beugte sich zu mir und sagte, ich solle mich um meinen eigenen Kram kümmern. Das Gefängnis war eine vollkommen andere Welt, und man lernte sehr schnell, nur seinen eigenen Leuten Aufmerksamkeit zu widmen, den Verwandten oder Freunden, die man vor sich hatte.
    Mama zeigte ihre Zuneigung für meinen Vater bei den Besuchen immer auch körperlich, mehr als sie es normalerweise daheim getan hatte. Wenn wir dort waren, streichelte sie oft sein Bein oder hielt seine Hand. Dies war nicht oft geschehen, solange Papa noch ein freier Mann gewesen war. Mama hatte immer gern Papas Kopf gestreichelt, wenn sie im Wohnzimmer auf dem Sofa lagen, doch im Allgemeinen war das in Sachen Schmusen schon das Höchste der Gefühle gewesen. Nun, da er im Gefängnis saß, vermisste sie ihn und war ihm einfach gerne nahe. Wenn ihre Zuneigung allzu augenfällig wurde, sagte Papa: »Tu das nicht hier drin.« Nicht, dass sich Papa an dem Körperkontakt gestört hätte – es war John, dem er missfiel. »Warum lässt du deine Frau deine Hand streicheln?«, fragte er meinen Vater einmal. »Du bist der Unterboss der mächtigsten Mafiafamilie der Welt. Das ist ein Zeichen von Schwäche.«
    Papa und John war es erlaubt, drei Besucher gleichzeitig zu empfangen. Es gab spezielle Tage für Familienbesuche, an anderen Tagen wiederum kamen nur die Männer aus Papas und Johns Gangsterumfeld zu Besuch.
    An den Familientagen wurde John abwechselnd von seiner Frau Victoria, seinem Sohn Pete oder seinen Töchtern Victoria und Angel besucht. Victoria war ein paar Jahre älter als ich, und einmal erzählte mir ihr Vater, sie wolle Modedesignerin werden. Sie war immer gut angezogen und hatte ein sehr gepflegtes Äußeres. Ich fand jedoch, dass sie wie ihr Vater eine gewisse Arroganz an sich hatte. Wir begrüßten uns höflich, während wir auf unsere Väter warteten, aber mehr auch nicht. Mama, Gerard, Tante Diane, Papas Schwester Fran und meine Kusine Rena wechselten sich mit den Besuchen am Familientag ab.
    Mein Vater kam mit der Gefängnissituation gut zurecht. Ein Mann, der mit ihm einsaß, erzählte mir: »Als dein Vater und John hierher kamen, dachten alle, sie wären knallharte, arrogante Großkotze. Aber dein Vater geht ganz normal im Fitnessraum Boxen und trainiert.« Mein Vater war wie alle anderen auch. Er hatte die Fähigkeit, sich seiner jeweiligen Situation anzupassen. Der Mithäftling wusste, dass mit meinem Vater nicht zu spaßen war, aber er konnte auch sehen, dass er fair war. Da die Leute wussten, dass er ein harter Kerl war, brauchte er es nicht ständig zu beweisen.
    »Er versuchte niemals, den Unterboss herauszukehren«, erzählte mir der Mithäftling. Es überraschte mich nicht, das zu hören. Auch außerhalb des Gefängnisses hatte er das nie getan.
    John schien irritiert, mit welcher Leichtigkeit Papa mit den anderen Insassen zurechtkam. Besonders störte ihn, dass es meinem Vater Spaß machte, mit den anderen Jungs im Fitnessraum der Anstalt zu trainieren. Einmal sagte er zu Sammy: »Wie glaubst du, wird das für die anderen Familien aussehen? Was, wenn dich jemand ins Gesicht schlägt? Was, wenn dich jemand verletzt? Das wäre ein Zeichen von Schwäche.« Für John gab es nichts Schlimmeres, als Schwäche zu zeigen.
    Papa erwiderte: »Nun, das passiert eben beim Boxen, man wird ins Gesicht geschlagen. Manchmal bezieht man eben Prügel.«
    John wollte, dass sich Papa mehr wie ein Boss verhielt. Er fand, er sollte in seiner Zelle bleiben und sich als der zweite Mann der Familie Gambino hofieren lassen. Papa war jedoch nie der Typ, der andere Leute seine Wäsche waschen ließ. Er

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