Mafiatochter
darüber reden. Ich konnte sehen, dass sie dieser Mord zutiefst schmerzte. Außerdem sagte sie zu mir, dass sie nicht mit mir darüber sprechen wolle, niemals.
Bis heute haben wir die Angelegenheit unberührt gelassen. Ich weiß nicht, wie es Mama geht, aber ich brauchte jedenfalls eine ganze Weile, um damit fertig zu werden. Wie meine Mutter beschlossen auch meine Großeltern, nicht über Onkel Nicky zu sprechen. Meine Großmutter sagte nur: »An dem Tag, an dem ich erfuhr, dass dein Vater beteiligt war, habe ich zwei Söhne verloren.«
Über Mord hatte ich mir eigentlich noch nie Gedanken gemacht, nicht einmal, als Onkel Nicky verschwand. Ich konnte das Thema sehr gut ausblenden. Vielleicht hatte ich den Verdacht, dass Mord zum Leben meines Vaters dazugehörte, aber ich dachte nie an die Männer, die dabei ihr Leben ließen. So, wie es dargestellt wurde, standen alle Opfer auf die eine oder andere Weise mit der Mafia in Verbindung. Sie wussten, worauf sie sich einließen, und nahmen das Risiko in Kauf. Diejenigen, die keine »gemachten Männer« waren, aber sich in deren Dunstkreis begaben und es wagten, zu rauben, zu stehlen oder ihre Auftraggeber zu hintergehen, kannten die möglichen Folgen ebenfalls. Es waren alles Männer, die dieses Leben bewusst gewählt hatten und sich dessen bewusst waren, dass Mord ein Teil davon war. Obendrein hatten viele selbst Morde begangen.
Viele Leute glorifizieren diesen Lebensstil und sehen nur den Glanz und den Glamour, aber die kalte Realität dieser Welt ist Mord, und daran denken die Leute nicht, wenn sie die Mafia romantisieren. Rückblickend betrachtet, tragen die Familien der Mafiamitglieder die Konsequenzen für etwas, mit dem sie persönlich nichts zu tun haben.
Ich nahm die Nachricht von der Aussage meines Vaters und seinen neunzehn Morden mit einer Mischung aus Grauen und Faszination auf. Damals stellten die Medien es so dar, als wäre John Gotti der »Gute« und mein Vater der kaltblütige Killer gewesen. Es mag sonderbar klingen, doch als ich mich mit Papas Taten halbwegs abgefunden hatte, fand ich morbiden Trost in dem Wissen, dass er ein derart gefährlicher Mann war – schließlich hatte ich doch entsetzliche Angst davor, was Mama, Gerard und mir passieren könnte, nun, da mein Vater die Seiten gewechselt hatte.
Obwohl er im Gefängnis saß, hoffte ich, dass die Leute es sich zweimal überlegen würden, bevor sie versuchten, uns etwas anzutun. Denn eines wusste ich bestimmt: Er würde alles in Bewegung setzen, um mich und meinen Bruder zu schützen.
Im Gegensatz zu Victoria Gotti, deren Vater zwar ein Mafiaboss und an Morden beteiligt gewesen war, aber trotzdem immer noch verehrt wurde, büßte meine Familie allen Respekt ein, den wir uns in der Unterwelt je erworben hatten. Das passierte, wenn jemand mit dem FBI kooperierte.
Papa war ein Feind, weil er »gesungen« hatte. Sein einstiges Umfeld wollte augenblicklich nichts mehr von ihm wissen und taufte ihn von »Sammy the Bull« in »Sammy die Ratte« um. Mafia-Experten bezeichneten meinen Vater als ranghöchsten amerikanischen Mafioso, der je sein Schweigen gebrochen und als Zeuge ausgesagt habe. Tatsächlich hat bis zum heutigen Tage keine andere Zeugenaussage ähnlich weitreichende Auswirkungen für das organisierte Verbrechen gehabt. Nicht einmal die Aussage von Joe Valachi, einem niederrangigen Mitglied der Familie Genovese, der als erster Mafioso das Schweigegelübde der Mafia brach und 1963 vor einem Unterkomitee des Senats aussagte, hatte vergleichbare Auswirkungen.
John Gotti hielt man für die mächtigste Verbrecherfigur seit Al Capone, und mein Vater wandte sich nun gegen ihn und damit auch gegen die Mafia als Ganzes. In diesem Augenblick verlor ich sämtliche Privilegien, an die ich mich während meines Heranwachsens gewöhnt hatte.
Wichtiger noch war aber, dass ich begann, die Entscheidung meines Vaters anzuzweifeln, etwas, das ich noch nie zuvor in meinem Leben getan hatte. Als Kind hinterfragte ich nie, was mein Vater mir sagte. Ich war stets zufrieden mit seinen Antworten, doch diesmal hatte ich einen ganzen Haufen Fragen. Ich begriff nicht, warum er seinen Boss verriet, wo er mir doch mein Leben lang eingeschärft hatte, niemals einen Freund zu verpfeifen. Ich war voller Zweifel.
In den Stunden, nachdem die Story über meines Vaters Aussage an die Kioske gelangt war, riefen mich meine drei besten Freundinnen an: Jennifer Graziano und Roxanne und Ramona Rizzo. Sie wollten bei mir
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