Mafiatochter
vorbeischauen. Alle drei waren Töchter von Männern, die mit meinem Vater in Verbindung gestanden hatten, und wir waren seit Kindestagen miteinander befreundet. Doch ich zweifelte mittlerweile an allem. Oh Gott, dachte ich, werden die Mädchen mich nun fertig machen? Tief im Herzen wusste ich, dass sie das niemals tun würden. Trotzdem stellte ich mir diese Frage.
Die drei hielten vor dem Haus, stiegen aber nicht aus dem Wagen. Ich spähte links und rechts die Straße entlang, bevor ich mich von der Haustür entfernte und zu ihnen rannte, um mit ihnen zu sprechen.
Die Mädchen waren hysterisch. »Wir dürfen uns nicht mehr mit dir treffen«, schluchzten sie. Ich war am Boden zerstört. Was hatte ich denn getan? Warum verurteilten mich die Leute in meinen Kreisen für das, was mein Vater getan hatte?
Ich war zwar verwirrt, doch klug genug, um zu wissen, dass sie das tun mussten. Wir waren alle mit demselben Wertesystem erzogen worden. Durch seine Kooperation wandte sich mein Vater gegen alles, was man uns je gepredigt hatte, und ich bin sicher, dass ihre Väter wollten, dass sie sich von mir distanzierten, damit sie auf gar keinen Fall in die Sache verwickelt würden. Trotzdem kam es mir unwirklich vor. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal in eine solche Situation geraten würde. Unsere Freundschaft war beinahe ein Abziehbild der Bruderschaft unserer Väter. Wir waren eine Art Schwesternbund. Wir waren unsere eigenen »Leute«.
Nun war es mir nicht mehr gestattet, ihre Häuser zu betreten, wodurch unser Schwesternbund auf die Probe gestellt wurde. »Mach dir keine Sorgen, Karen, wir kriegen das schon hin«, versprachen sie mir. »Wir lieben dich. Wir sind wie Schwestern.« Ich war ungemein erleichtert, als ich begriff, dass sie mich nicht fallen lassen würden.
Kurz nachdem sie davongefahren waren, ging mein Pager los, weil mich alle meine anderen Freundinnen anfunkten. Ich brachte nicht den Mut auf, auch nur eine davon zurückzurufen. Es waren Freundinnen, die ich schon mein ganzes Leben lang kannte, und ich hätte es nicht ertragen, mit ihnen zu sprechen. Ich dachte nur: Mein Leben ist vorbei. Ich bin erst neunzehn, und mein Leben ist bereits vorbei.
Es war mir damals nicht klar, aber auch ich war im Gefängnis – nur, dass ich draußen und nicht eingesperrt war. Ich kam mir vor, als hätte mich mein Vater aus der Welt herausgerissen. Ich war neunzehn, hatte keinen Vater mehr und wusste von einem Augenblick zum anderen nicht mehr, was geschehen würde. Würden mir meine Freunde und Verwandten auf ewig die kalte Schulter zeigen? Ich war zornig, fühlte mich verlassen und allein. Doch ich wusste, dass mein Vater immer noch Leute hatte, die ihn achteten und sich um uns kümmern würden. Möglicherweise verstanden einige dieser Männer, warum mein Vater kooperiert hatte, wenn sie es auch niemals laut sagen würden. Trotzdem würden sie auf mich, Mama und Gerard Acht geben. Schließlich gab es die alte Regel, dass man Ehefrauen und Kinder »aus dem Spiel« ließ.
Der Blumenladen, den mir mein Vater zum Highschool-Abschluss geschenkt hatte, war vom Tag seiner Eröffnung bis zum Bekanntwerden der Zeugenaussage ein brummendes Geschäft gewesen. Über Nacht kamen keine Kunden mehr in den Laden, bereits aufgegebene Bestellungen für Taufen und Partys wurden storniert, und nach wenigen Wochen blieb mir nichts anderes übrig, als Exotic Touch dicht zu machen.
Als Tochter eines Mafiagangsters habe ich die guten und die schlechten Seiten dieser Rolle erlebt. Ich habe den Glanz und den Glamour genossen, die eine Mafiaprinzessin umgeben. Ich habe aber auch die Kehrseite kennen gelernt, die Angst, die man verspürt, wenn man in einem Kartenhaus lebt.
Als Heranwachsende stand ich auf einem hohen Podest. Ich genoss die Aufmerksamkeit und den Respekt, die mir als Tochter eines Mafiabosses entgegengebracht wurden. Doch als ich fiel, stürzte ich tief. Dazwischen gab es für mich nichts. Als sich mein Vater zur Kooperation bereiterklärte, war ich zwar schon neunzehn, aber immer noch eine Jugendliche, die versuchte, ihren eigenen Weg zu finden. Ich krabbelte gerade aus meinem kleinen Kokon und musste plötzlich ganz alleine durchkommen. Also versuchte ich, herauszufinden, wer ich wirklich war und wohin ich in dieser neuen Welt gehörte.
Es war ein sehr kritischer Punkt in meiner Entwicklung. Ich wusste nicht, welchen Schritt ich als nächstes tun sollte. Es war ein Gefühl, als steckte ich mit den Rädern tief im Schlamm.
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