Mafiatochter
kannte nichts anderes. Mein einziges Ziel war es, für mich den Respekt zurückzuerobern, den mein Vater vertan hatte. Ich war überzeugt, dass dies nur zu schaffen sei, wenn man sich recht hart gesotten gab, also nahm ich dieses »Tough Girl«-Image an. In Wahrheit war ich wütend auf meinen Vater, vermisste ihn aber noch immer. Ich war zornig und verwirrt.
Es war mir egal, dass der Blumenladen dichtmachte. Ich fand sowieso, dass ich nicht zur Floristin geboren war. Ein Semester lang besuchte ich die St. John’s University auf Staten Island, dann brach ich das Studium wieder ab. Tommy und ich hatten uns nach drei Jahren getrennt, und ich hatte einen neuen Freund namens Lee d’Avanzo, den Anführer der Straßenbande unseres Viertels. Er hatte einen Ruf als richtig böser Junge. Ich dachte, wenn ich mit ihm zusammen wäre, würde niemand irgendwelche Scheiße über mich erzählen.
Lee war groß, hatte einen dunklen Teint und große, olivenförmige Augen. Er sah gut aus und besaß diese gewisse Härte, die ich attraktiv fand. In ihm steckte eine Führernatur. Er war drei Jahre älter als ich und lebte ein paar Blocks entfernt von dem Schulhof, wo wir uns immer trafen.
Ich kannte Lee schon seit Jahren. Mein Vater hatte ihm einmal das Leben gerettet, als er noch jünger gewesen war. Als ich noch mit Tommy ging, kam Papa eines Tages vom Training nach Hause und bat mich, etwas aus seiner Sporttasche zu holen. In der Tasche hatte er eine Liste mit drei Namen. Einer davon war der von Lee.
»Was machst du mit diesen Namen?«, fragte ich ihn.
Papa fragte zurück: »Kennst du diese Jungs?«
»Ja, die kenne ich«, antwortete ich.
Wir begannen, gezielt über Lee zu sprechen.
»Ist er ein guter Junge?«, wollte Papa wissen.
Ich hatte gehört, was er schon alles angestellt hatte; er hatte Radkappen und andere Dinge von Autos geklaut. Ich wusste, dass er ein harter Junge war. Nachdem sein Vater vor einer illegalen Autowerkstatt von den Bundesbehörden erschossen worden war, hatte ihn seine Mutter allein großgezogen. Vom Tod seines Vaters erfuhr er an Halloween, als er gerade vom Süßigkeitenbetteln nach Hause kam.
Alle im Haus weinten. Er fragte seine Mutter, wann sein Vater wieder zurück sei. Sie antwortete »niemals« und sagte, er solle seinen Namen nicht mehr erwähnen. Schließlich erfuhr Lee die Wahrheit über die Schießerei und hasste das FBI und die Regierung dafür, was sie seiner Familie angetan hatten. In sehr jungen Jahren musste er bereits die Familie ernähren, und seine Mutter stellte keine Fragen, solange Geld hereinkam.
Papa wusste nichts von Lees Geschichte, doch wenn ich ihn kannte, genügte ihm das. Er sagte: »Tu mir einen Gefallen – kriegst du es hin, dass der Junge morgen zu mir kommt? Sag ihm, er soll das Haus erst dann verlassen, wenn er zu mir kommt.«
Ich rief Tommy an und bat ihn, Lee zu verständigen und ihm zu sagen, dass er zu uns nach Hause kommen solle. Lee und Tommy kannten sich vom Schulhof. Sie hatten denselben Freundeskreis. Lee erhielt die Nachricht und erschien am folgenden Tag. Ein paar Tage zuvor war er in eine Prügelei verwickelt gewesen und hatte den Neffen eines Mafioso zusammengeschlagen. Der Mafioso hatte Lee zum Abschuss freigegeben. Es sollte eine Botschaft für die Springville Boys sein, denen er damit sagen wollte, dass es auf der Straße einen Kodex gebe, an den sie sich halten müssten. Mein Vater erklärte, dass Lee und seine Freunde Acht geben müssten, wen sie zusammenschlugen. Außerdem müssten sie sich einem Mitglied des organisierten Verbrechens gegenüber verantworten, weil die Familien die Straße kontrollierten. Lee akzeptierte das und dankte meinem Vater dafür, dass er ihm das Leben gerettet hatte. Danach schien es, als hätte Lee ein Auge auf mich geworfen. Vielleicht fühlte er sich meinem Vater verpflichtet. Ein paar Jahre später gingen wir miteinander.
Lee hielt nicht viel von der Stadt, also besuchten wir Clubs auf Staten Island oder in Brooklyn. Am Wochenende fuhren wir zum Hunter Mountain oder raus in die Hamptons. Alles, was mir damals wirklich wichtig war, war mein gesellschaftliches Leben. Von Zeit zu Zeit telefonierte ich mit Papa, aber meistens machte ich ordentlich einen drauf, um nicht an ihn denken zu müssen. Meine Mutter zeigte sich hinsichtlich meines zügellosen Verhaltens besorgt, aber ich zerstreute ihre Bedenken.
Lee und ich waren inzwischen ziemlich fest zusammen. Wir gingen nun schon fast zwei Jahre miteinander. Papa
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