Mafiatochter
Er stahl genug Geld für uns beide.
Lee beging Verbrechen, und ich versuchte derweil, mir eine eigene Karriere zusammenzubasteln. Mama hatte mir etwas Geld hinterlassen, und Lee kümmerte sich um die meisten Rechnungen. Abends ging er regelmäßig rauben und stehlen, sodass niemals ein Mangel an Geld herrschte. Ich wusste, was er tat, befolgte jedoch den alten Kodex unserer Familie und stellte keine Fragen. Lee erzählte mir trotzdem alles.
Ich war also recht gut versorgt. Wenn ich nicht arbeitete, traf ich mich mit den Mädchen – Ramona, Roxanne und Jennifer. Dann gingen wir zusammen ins Palladium oder ins Limelight oder in einen anderen Club in New York, der an dem betreffenden Abend angesagt war. Lee gefiel es nicht, dass ich mit meinen Freundinnen um die Häuser zog. Die meisten Reibereien zwischen uns hatten damit zu tun, um welche Uhrzeit ich nach Hause kam. Ich hingegen machte ihm niemals Vorwürfe, wenn er tagelang wegblieb, um seine Verbrechen zu begehen.
Eines späten Abends im Juli schliefen Lee und ich oben in unserem Schlafzimmer, als Kugeln durchs Fenster pfiffen. Es war kein gewöhnliches Glasfenster, sondern eins, für dessen Anfertigung und Einbau Papa keine Kosten und Mühen gescheut hatte: eine etwa ein Meter große, runde Fensterscheibe aus Rauchglas mit einem großen »G« in der Mitte. Die Kugeln flogen direkt über das Bett und trafen den Schrank, wo sich einst der Safe mit dem Geld befunden hatte.
Wir hatten keine Ahnung, warum jemand auf das Haus schoss, aber ich nahm an, dass es mit meinem Vater zu haben müsse. Ich konnte also auf keinen Fall die Polizei rufen, und auch aus der Nachbarschaft tat das niemand. Vielleicht hörte niemand etwas, weil das Haus direkt an der Zufahrt zur Schnellstraße lag, aber wahrscheinlicher ist, dass sich niemand in die Angelegenheiten der Mafia einmischen wollte.
Am nächsten Morgen gingen Lee und ich hinaus und stellten fest, dass auch auf meinen grauen Acura geschossen worden war. Die Seitentür hatte zwei Einschusslöcher. Ich rief meine Mutter in Arizona an, und sie verständigte Onkel Eddie, der sich um uns kümmern sollte. Onkel Eddie wusste bereits davon, war aber nicht gekommen, um nach mir zu sehen. Ich bin nicht sicher, warum. Big Louie Valario und Mikey Scars waren zwei loyale Freunde der Familie, die, nachdem sie von der Sache gehört hatten, regelmäßig vorbeischauten, um sicherzugehen, dass bei mir alles in Ordnung war. Ich fühlte mich in diesem Lebensstil immer noch geborgen, begann jedoch einzusehen, dass es nicht das war, was ich eigentlich wollte.
Lee brachte meinen Wagen in die Werkstatt eines Freundes. Der Mechaniker entfernte die Kugeln und kittete die Löcher. Das Rauchglasfenster im Haus ließ ich nicht ersetzen, stattdessen entschied ich mich für einfaches Fensterglas. Erst Jahre später erfuhr ich, wer geschossen hatte. Es stellte sich heraus, dass es kein Racheakt gegen Papa gewesen war, wie ich zunächst gedacht hatte. Vielmehr hatte ein Junge aus Staten Island Lee eine Botschaft gesandt, weil er ihn nicht leiden konnte. Lee und ich redeten nie darüber, so seltsam das auch klingen mag. Wir vergaßen das Ganze einfach.
Das Haus stand bereits zum Verkauf, als es beschossen wurde. Lee und ich hatten vereinbart, ebenfalls nach Phoenix zu ziehen und dort einen Neuanfang zu versuchen. Wir hatten Mama und Gerard dort besucht, und die Stadt hatte uns gefallen. Lee war ein paar Mal wegen Schlägereien verhaftet worden, und die Polizei hatte ihn auf dem Schirm. Ich vermisste meine Familie. Ich wollte Lee nicht verlassen, also mussten wir zusammen gehen.
Als ich Mama erzählte, dass wir kommen würden, war sie hocherfreut. Ich sollte den Kaufinteressenten das Haus zeigen, bis es verkauft wäre. Es war sehr schwer, es anderen Menschen zu übergeben. Papa hatte viel Zeit und Herzblut in dieses Haus gesteckt, und vieles darin war sehr persönlich. Einige der schönsten Erinnerungen an meine rebellischen Teenagerjahre waren mit ihm verknüpft. Die meiste Zeit, die wir in Bulls Head lebten, war Papa als Gangster respektiert worden. Unsere Partys waren legendär. Wir gehörten wirklich dorthin.
Es brach einem das Herz, das alles loszulassen. Mama reiste zur Übergabe an. Das Haus war auf sie eingetragen, also musste sie sämtliche Verträge unterzeichnen, nicht mein Vater. Um genügend Geld für einen Neubeginn in Arizona zu haben, verkaufte Mama auch das Bürogebäude an der Stillwell Avenue sowie einige andere Immobilien, die
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