Magazine of Fantasy and Science Fiction 02 - Das letzte Element
Seite war rauh und fein gerastert, sie fühlte sich an wie winzige, scharfe Zähnchen.
»Man drückt sie mit der rauhen Seite auf den Körper des Patienten«, erklärte der Fremde. »Sie bleibt daran haften, wird ein Teil des Patienten. Der Körper absorbiert den Impfstoff, und die Kapsel fällt herunter.«
»Weiter ist nichts zu tun?«
»Das ist alles«, sagte der Fremde.
Der Arzt hob die Kapsel vorsichtig mit zwei Fingern hoch und ließ sie wieder in die Schachtel fallen.
Er blickte den Fremden an. »Aber warum?« fragte er. »Warum geben Sie es uns?«
»Das wissen Sie nicht?« sagte der Fremde. »Sie wissen es wirklich nicht?«
»Nein, ich weiß es nicht.«
Die Augen des Fremden wirkten plötzlich sehr alt und traurig. Er sagte: »In einer Million Jahren werden Sie es wissen.«
»Ich nicht«, wandte der Arzt ein.
»In einer Million Jahren«, wiederholte der Fremde, »werden Sie das gleiche tun, aber dann wird es etwas anderes sein. Und dann wird jemand anders Sie fragen, und dann werden Sie auch nicht besser darauf antworten können als ich.«
Wenn das eine Rüge sein sollte, dann nur eine sehr sanfte. Der Arzt versuchte zu erkennen, ob es eine sein sollte oder nicht. Er ließ den Gedanken fallen.
»Können Sie mir sagen, was darin ist?« fragte er und deutete auf die Kapseln.
»Ich kann Ihnen die chemische Formel geben, aber nur in unserer Sprache. Sie würden sie nicht verstehen.«
»Sie sind mir nicht böse, wenn ich sie erst einmal ausprobiere?«
»Ich wäre enttäuscht, wenn Sie das nicht tun würden«, entgegnete der Fremde. »Ich kann nicht erwarten, daß Sie mir einfach glauben. Das wäre unklug von Ihnen.«
Er klappte die Schachtel zu und schob sie über den Tisch zu dem Arzt. Dann stand er auf und ging zur Tür.
Der Doktor erhob sich schwerfällig.
»Warten Sie!« rief er.
»Ich komme in ein oder zwei Wochen wieder«, sagte der Fremde.
Er ging hinaus und machte die Tür hinter sich zu.
Der alte Arzt ließ sich in den Stuhl fallen und starrte auf die Schachtel.
Er streckte die Hand aus und berührte sie, aber sie war wirklich vorhanden. Er drückte auf die Seitenwand, der Deckel sprang auf, und er blickte auf die Kapseln im Inneren.
Er bemühte sich, wieder zurück zur Wirklichkeit zu finden, auf altvertrauten und soliden Grund, zurück zu ordentlichen und vernünftigen – und menschlichen – Gesichtspunkten.
»Alles Unsinn«, sagte er.
Aber es war kein Unsinn. Er wußte sehr wohl, daß es das nicht war.
Er kämpfte es noch in der gleichen Nacht mit sich selbst aus – hinter der geschlossenen Tür seines Arbeitszimmers; gedämpft hörte er das Klappern aus der Küche, wo Janet das Abendgedeck abräumte.
Das erste war der Kampf im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit.
Er hatte dem Mann geglaubt, daß er ein Fremder aus einer anderen Welt war, und es gab genügend Beweise dafür. Trotzdem schien es so unwirklich, alles, was vorgefallen war, daß es schon recht schwer zu verdauen war.
Und das schwerwiegendste aller Dinge war, daß der Fremde, wer immer er auch war, ausgerechnet zu ihm, von allen Ärzten der Welt zu Dr. Jason Kelly, einem unbedeutenden kleinen Kuhdoktor in einer unbedeutenden kleinen Stadt, gekommen war.
Er dachte darüber nach, ob es vielleicht ein Schwindel sein könnte, schob diesen Gedanken aber wieder beiseite, denn die drei Finger an der Hand und das andere, was er gesehen hatte, würden schwierig vorzutäuschen sein. Und außerdem wäre die Sache als ein Ganzes so dumm und so grausam, daß sie als ein angelegter Schwindel eigentlich keinen rechten Sinn ergab. Und eigentlich haßte ihn auch niemand so sehr, als daß er sich deswegen die ganze Mühe machen würde. Und selbst wenn ihn einer genug haßte, so zweifelte er doch sehr stark daran, daß es in Millville jemanden gab, der so viel Phantasie aufzubringen vermochte.
Deshalb war die einzige solide Grundlage, über die er verfügte, die, daß der Mann wirklich ein Fremder aus einer anderen Welt war und daß die Kapseln bona fide waren.
Und wenn das zutraf, so gab es nur eins zu tun: Er mußte sie ausprobieren.
Er stand auf und ging mit großen, schweren Schritten im Zimmer auf und ab.
Martha Anderson, sagte er sich. Martha Anderson hatte Krebs, und ihr Leben war verwirkt – es gab nichts, was die Menschen kannten, das ihr helfen könnte. Eine Operation wäre Wahnsinn gewesen, denn wahrscheinlich würde sie sie nicht überleben. Und selbst wenn sie es durchstehen würde – ihr Fall war schon zu
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