Magazine of Fantasy and Science Fiction 21 - Flucht in die Vergangenheit
entferntesten Ecke summte ein Computer vor sich hin. Von der Rückwand aus führten mehrere Türen in abgeschlossene Büros.
»Unser Verfahren erfordert eine beträchtliche Anzahl von Ärzten, Technikern und Hilfskräften«, erklärte Newkirk seinem Besucher. »Wir haben eine eigene Forschungsabteilung, Psychologen, Schriftsteller, Schreibkräfte und natürlich Vorleser.«
»Vorleser?« fragte Kidder.
»Selbstverständlich, Doktor. Der Erinnerungs-Bericht eines Patienten ist nach seiner Fertigstellung etwa zwölftausend Seiten stark und enthält über drei Millionen Wörter. Diese ›Story‹ seiner imaginären Vergangenheit muß dem Unterbewußtsein des Patienten übermittelt werden, und wir haben festgestellt, daß dafür Vorleser am besten geeignet sind. Diese Leute arbeiten in Schichten und tun nichts anderes, als die schriftlichen Aufzeichnungen unserer Psychologen langsam und deutlich vorzulesen, während der Patient unter Einfluß der Narko-Hypnose dafür empfänglich ist. Was ihm vorgelesen wird, bleibt unwiderruflich Bestandteil seiner Psyche. Vielleicht erscheint Ihnen dieses Verfahren im Augenblick noch primitiv; ich nehme jedoch an, daß andere auf dieser Grundlage aufbauen und mein Lebenswerk vollenden werden, wie es auch bei Freud der Fall war.«
Nun wußte Kidder, weshalb ihm der Mann unsympathisch war. Newkirk wollte nur berühmt werden. Wie kam er dazu, sich mit Freud zu vergleichen?
»Und das sind die Vorleser?« fragte Kidder. Er nickte zu den Glaskästen hinüber.
»Ja. Sie wechseln sich ab, bis der Erinnerungs-Bericht des Patienten vorgelesen ist.« Sie gingen an den Glaskästen vorbei, und Newkirk deutete auf die Namensschilder an jeder Tür. »Feldman, Marquandt, Begley, Scarpone, Brice, Anderson ... Vorläufig kommen wir mit einem halben Dutzend aus, aber je mehr Patienten wir aufnehmen ...«
»Der junge Mann mit dem braunen Haar im letzten Büro«, sagte Kidder. »Wie heißt er noch gleich – Anderson?«
»Richtig, Philip Anderson. Mister Eastman, unser Personalchef, hat ihn erst vor kurzem eingestellt. Er hat Milo einige der letzten Kapitel vorgelesen. Möchten Sie Mister Eastman kennenlernen?«
»Könnte ich nicht lieber erst den Patienten sehen?«
Newkirk lächelte. »Selbstverständlich. Ich kann mir vorstellen, wie neugierig Sie sein müssen, Doktor.«
Sie waren erst zehn Schritte weitergegangen, als Kidder abrupt stehenblieb und sich umsah.
»Ich habe das Gesicht gleich wiedererkannt. Ich habe sofort gewußt, was ...«
»Was gibt's, Doktor?«
Kidder starrte den Mann mit dem häßlichen Gesicht und den freundlichen Augen erschrocken an.
»Ich habe ihn damals kennengelernt, als ich Milo erstmals begegnet bin. Ich habe ihm auf Doktor Bradmores Wunsch hin sogar ein Schlafmittel verschrieben, weil er so durcheinander war. Wie könnte ich sein Gesicht vergessen?«
»Was soll das heißen, Kidder?«
»Der Mann dort drüben, der sich Anderson nennt! Mein Gott, überprüfen Sie Ihre Leute etwa nicht, Newkirk? Sind Sie nie auf diesen Gedanken gekommen? Er heißt nicht Anderson, sondern Gilbert. Er ist der Mann, dessen Frau ... dessen drei Kinder ...«
Ich erinnere mich an dich, Jennifer.
Wir schlendern im Mondschein durch den Park. Die Augustnacht duftet nach Blüten und deinem Haar. Das Gras unter uns ist weich, unsere Gesichter berühren sich, wir flüstern miteinander. Deine Lippen auf meinen, dein zarter Kuß. Das Fieber in meinem Blut. Ich brauche mehr als nur Zärtlichkeit, Jennifer. Plötzlich der brutale Überfall, meine starken Hände halten dich fest. Jennifer, Jennifer, versteh mich doch ... dein ängstlicher Schrei, mein Jähzorn. Sternengleiche Augen füllen sich mit Entsetzen. Wirres goldenes Haar. Schlanke weiße Finger kämpfen, wehren ab, kratzen ... Aufhören, Jennifer, hör auf! Finger an der weißen Kehle. Ich will es nicht tun, Jennifers ich will es nicht tun! O Gott, o Gott! Ein Schrei in der Nacht, der unterdrückt werden muß, erstickter Angstschrei, zurückgehalten, unterbrochen, bis zum Schweigen gewürgt, gewürgt, gewürgt, gewürgt ...
O Gott, ich erinnere mich! Ich erinnere mich! Ich erinnere mich an dich, meine Schuld!
Die beiden Männer stürzten in den abgedunkelten Raum. Newkirk voraus, und Kidder, der ihm auf den Fersen geblieben war, sah nun, daß seine Augen sich bei diesem Anblick schlossen, der eine Niederlage bedeutete.
Kidder sah den Toten am Fensterkreuz hängen, sah die um den Hals geknotete Krawatte, sah die purpurroten
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