Magazine of Fantasy and Science Fiction 21 - Flucht in die Vergangenheit
Vergangenheit hinter sich zu lassen und nur in die Zukunft zu sehen. Dieser Befehl wird weiterhin dadurch ergänzt, daß wir in seinem Erinnerungs-Bericht zum Beispiel den Tod seiner Eltern vorsehen – selbstverständlich einen friedlichen Tod, der nicht viel Kummer bereitet. Sehen Sie, Doktor? Wir haben an alles gedacht?«
Ich erinnere mich an euch, kleine weiße Kreuze.
Warum mußte das sein, Tante Martha? Sie waren so gut; warum mußte es so früh sein? Pst, Kind, pst, es war Gottes Wille, und du mußt jetzt ihretwegen tapfer sein. Ich bin tapfer, Tante Martha, siehst du, wie tapfer ich bin?
Hör zu, Tante Martha, ich habe eben den Brief bekommen! Ich darf ein Jahr in Europa studieren, ist das nicht wunderbar? Europa! Die Schweiz! Alpenblumen auf grünen Matten. Edelweiß an steilen Felswänden. Skiabfahrten im frischen Schnee ...
»Die Behandlung ist immer erfolgreich«, sagte Newkirk, als sie den Korridor entlanggingen. »In Milos Fall ist sie noch nicht abgeschlossen, aber wir wissen bereits jetzt, daß die Gedächtnisübertragung hervorragend geklappt hat. Wir haben eine neue Persönlichkeit geschaffen, Doktor, einen sanften, weichherzigen Menschen. Aber davon können Sie sich bald selbst überzeugen.«
»Soll das heißen, daß ich tatsächlich mit ihm sprechen kann?«
»Selbstverständlich. In den Behandlungspausen ist Milo völlig bei Bewußtsein. Sie sind Psychiater und müßten deshalb imstande sein, seine neue Persönlichkeit zu beurteilen. Sobald die Behandlung abgeschlossen ist, wird er selbständig für sich sorgen können, wenn wir ihn in die Welt zurückschicken.«
Kidder zog überrascht die Augenbrauen hoch.
»Sie wollen ihn also freilassen?«
»Natürlich. Nach Abschluß seiner Behandlung ist er weder Gefangener noch Patient. Seine Krankheit, die ihn dazu gebracht hat, ein Verbrechen zu begehen, ist dann geheilt. Und der ›Verbrecher‹, der dafür verantwortlich war, existiert buchstäblich nicht mehr. Warum sollten wir ihn also nicht freilassen?«
»Aber er ist doch noch immer der gleiche Milo, nicht wahr? Ich meine – der Mann hat sich schließlich nicht verändert, auch wenn Sie sein Gehirn beeinflußt haben.«
Newkirk lächelte spöttisch. »Was verstehen Sie unter ›Mann‹, Doktor?«
»Sie wissen genau, was ich meine! Selbst wenn Sie sein Gedächtnis gereinigt haben, ist er immer noch der Mann, der Mrs. Gilbert erwürgt, ihre Kinder bestialisch ermordet ...«
»Aha«, sagte Newkirk eisig. »Wir sind doch nicht allzu weit von den Auffassungen des Mittelalters entfernt, nicht wahr, Doktor?«
»Ich gebe zu, daß Sie sich große Mühe geben, Newkirk, das müssen Sie mir glauben. Ihre Methode mag moralisch einwandfrei sein, aber ...«
»Aber Sie können sich nicht damit abfinden, nicht wahr? Sie halten seine Untat nach wie vor für so schrecklich, daß Ihr animalischer Instinkt nach Rache schreit.«
Kidder wurde bei dem Gedanken an seine animalischen Instinkte rot; er war klein, farblos und verweichlicht. »Das habe ich nie behauptet, Doktor. Aber es ist nur menschlich ... Ich wollte sagen, diese Philosophie des Alten Testaments ist vielleicht auch heute noch ...«
»Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die Rache ist mein, spricht der HERR. Ich bin wirklich überrascht Kidder ...« Newkirk rang sich ein liebenswürdiges Lächeln ab und schlug seinem Besucher auf die Schulter. »Kommen Sie, mein Freund, Sie sind bestimmt anderer Meinung, sobald Sie die Klinik und unseren Patienten gesehen haben.«
Ich erinnere mich an dich, Jennifer ...
Wir schlendern im Mondschein über Deck, dein goldenes Haar schimmert silbrig, deine Augen sind wie Sterne, dein schöner Mund ist zum Sprechen geöffnet, deine Wange liegt an meiner, unsere Finger sind verschränkt. Ich erinnere mich an dich, an deine geflüsterten Worte in meinem Ohr, an deine Arme um meinen Hals. An dein Lächeln, das mir im Schlaf vorschwebt. An dein fröhliches Lachen. Und an deine Tränen. An unser feierliches Gelöbnis ...
Jennifer, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich ...
»Und dies«, sagte Newkirk in der Tür des großen weißen Raums, den seine Handbewegung umfaßte, »ist unsere psychiatrische Werkstatt.« Der Raum war wie ein großes Büro unterteilt; in mehreren Glaskästen saßen Männer an Schreibtischen und arbeiteten eifrig hohe Papierstapel durch; links an der Wand standen hintereinander mehrere Stahltische, an denen Stenotypistinnen auf elektrischen Schreibmaschinen schrieben; in der
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