Magazine of Fantasy and Science Fiction 22 - Im Angesicht der Sonne
zu tun haben zu wollen, war sie ihrem Vorsatz untreu geworden. Dieser stille, fast etwas schüchterne Mann bedeutete ihr mehr als ihr dummer Stolz; vielleicht sogar mehr als das Leben selbst.
Was ließ sich gegen die Zyklopenmauer tun? Ganz einfach für die Tochter eines Banditenhäuptlings! Da sie sich weder umgehen noch untergraben noch durchbrechen ließ, mußte man sie eben übersteigen. Und zu diesem Zweck hatte die junge Banditin Seile, Stiefel, Haken, Karabinerhaken, Rebschnüre und Hämmer mitgebracht – eine vollständige Kletterausrüstung. Sie war entschlossen, Baxter eine letzte Chance zu verschaffen – und Flame Steinmetz würde ihn dabei begleiten, selbst wenn er abzulehnen versuchte!
Sie kletterten nebeneinander her die glatte Außenfläche des Gebäudes hinauf. Hier gab es unzählige Gefahren, denen sie hilflos ausgesetzt waren – Vögel, Flugzeuge, Scharfschützen, Schlaumeier ... alle Gefahren der unberechenbaren Großstadt. Und tief unter ihnen beobachtete sie der alte Pablo Steinmetz, auf dessen Stirn tiefe Sorgenfalten wie in Granit gehauen standen.
Nach einer Ewigkeit voller Gefahren erreichten sie den höchsten Punkt der Mauer und begannen auf der anderen Seite hinabzuklettern. Und dann rutschte Flame aus!
Baxter mußte entsetzt zusehen, wie ihr schlanker Körper durch die Luft wirbelte, in die Tiefe fiel und auf dem Times Square von einer nadelscharfen Autoantenne gepfählt wurde. Baxter legte die letzten Meter mit zitternden Knien zurück, kniete neben der Toten und war vor Schmerz fast außer sich ...
Auf der anderen Seite der gewaltigen Mauer spürte Pablo Steinmetz, daß etwas Unwiderrufliches geschehen war. Er fuhr zusammen, sein Mund verzog sich zu einer weinerlichen Grimasse, und er tastete blindlings nach einer Flasche.
Starke Hände richteten Baxter auf. Er starrte in das freundliche rote Gesicht des Beamten an der Ziellinie.
Er brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, daß er die Ziellinie überschritten und das Rennen beendet hatte. Er hörte fast teilnahmslos, daß St. Johns Arroganz massive Unruhen im Burmesenviertel an der 42 nd Street hervorgerufen hatte; St. John hatte in den Ruinen der Public Library Zuflucht suchen müssen und war bisher noch nicht wieder aus diesem weitläufigen Labyrinth aufgetaucht.
Aber Schadenfreude lag nicht in Steve Baxters Natur, obwohl ein schadenfrohes Lächeln in diesem Augenblick eine durchaus verständliche Reaktion gewesen wäre. Für ihn war nur wichtig, daß er gesiegt hatte – daß er das Ziel gerade noch rechtzeitig erreicht hatte, um den letzten halben Hektar für sich zu beanspruchen.
Das hatte nur Anstrengungen und Schmerzen und das Leben einer jungen Banditin gekostet.
Die Zeit heilt jedoch manche Wunden, und einige Wochen später dachte Steve Baxter nicht mehr an die tragischen Ereignisse im Verlauf des Rennens. Eine Düsenmaschine der Regierung hatte ihn und seine Familie nach Cormorant in der Sierra Nevada gebracht. Von dort aus waren sie in einem Hubschrauber weitertransportiert worden. Ein sonnengebräunter US-Marshal, der gleichzeitig als Vertreter der Landbehörde fungierte, war bei der Landung zur Stelle, um ihnen ihren neuen Besitz zu zeigen.
Ihr Land lag jetzt vor ihnen; es war notdürftig eingezäunt und lag an einem steilen Abhang. Soweit das Auge reichte, waren ähnliche Parzellen abgeteilt. Das Land war erst kürzlich im Tagbau ausgebeutet worden; seine Oberfläche bestand in der Hauptsache aus tiefen Spalten, die sich durch die staubige, rötliche Erde dahinzogen. Nirgends stand ein Baum oder auch nur ein Grashalm. Das versprochene Haus stand da – es war allerdings kaum mehr als ein Schuppen. Mit viel Glück würde es vielleicht die nächsten Regenfälle überleben.
Die Baxters starrten ihr neues Besitztum zunächst einige Minuten lang schweigend an. Dann rief Adele: »Oh, Steve!«
»Ich weiß«, sagte Steve nur.
»Das ist also unser neues Land!« fuhr Adele fort.
Steve nickte. »Es ist nicht sehr ... hübsch«, meinte er zögernd.
»Hübsch? Was kümmert uns das?« Adele machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es gehört uns, Steve, und wir haben wirklich einen halben Hektar! Stell dir bloß vor, was wir hier alles anbauen können!«
»Nun, vielleicht nicht gleich ...«
»Ich weiß, ich weiß!« unterbrach Adele ihn ungeduldig. »Aber du wirst schon sehen – wir bringen das Land wieder in Ordnung, und dann pflanzen und ernten wir! Hier können wir leben, nicht wahr, Steve?«
Steve Baxter
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