Magdalenas Garten
wegen mir nicht wieder zusammenflicken â¦Â«
»Doch!«
Jetzt heulte sie wirklich, sie stand mit dem Gesicht an der Mauer und weinte mit bebenden Schultern, und auch der Schluckauf meldete sich wieder.
»Magdalena! Jetzt komm aus der Sonne, und ich erzähle dir etwas, wofür es sich auszahlt zu weinen!« Sie schaute ihn misstrauisch an und wischte sich mit den Händen über das Gesicht. Machte er sich über sie lustig? Er schnappte sich den Schemel mit den drei Beinen und ging zur Hängematte. Setz dich rein, forderte er sie wortlos auf. Gehorsam zog sie die Matte auseinander und setzte sich so aufrecht wie möglich quer in das feuchte Tuch. Sie bemühte sich, nicht zu schaukeln. Matteo sah sie an, er saà kaum einen Meter entfernt.
»Keine Familie zu haben ist nicht schön, man vermisst wahrscheinlich das ganze Leben lang etwas.« Magdalena nickte.
»Na ja«, sagte sie mit belegter Stimme, »ich hatte ja meine
GroÃeltern, alle beide, eine ganze Zeit lang. Als Oma Witta starb, da war ich schon dreizehn. Und ich hatte Fotos von meiner Mutter und Geschichten von ihr, jede Menge Geschichten.« Die hochgezogenen Augenbrauen von Matteo ermutigten sie weiterzusprechen.
»Ich will eine Heidi-Geschichte!, habe ich abends gesagt, als ich klein war. Und sie haben mir Heidi-Geschichten erzählt. Wie Heidi den Korb mit den Ostereiern umwarf, wie Heidi sich in einem Jahr auf das Sofa legte und Weihnachten boykottierte, wie Heidi mal vom Klettergerüst fiel und eine Gehirnerschütterung hatte. Ich wollte das immer und immer wieder hören. Und sie haben es immer wieder erzählt. Es war in Ordnung.« Magdalena schluckte, im Moment fühlte es sich wirklich ganz in Ordnung an.
»Es wird schon dumm sein, so was zu vergleichen, aber eine Familie zu haben und sie dann auf einen Schlag zu verlieren, ist vielleicht noch schlimmer«, fuhr Matteo fort. In Magdalenas Kopf ratterte es. Wer, wer hat seine Familie verloren, er selbst? Nein, nicht er, Nina! Es musste Nina sein, ach, bitte nicht! Doch Matteo erzählte schon weiter: »Er war mein bester Freund, nicht mein ältester, aber mein bester, Sergio Buonaforte, ich hatte ihn beim militare kennengelernt. Er war reich, seine Familie lebt in Rom, seinem Vater gehört unter anderem âºCicco-Caffèâ¹.« Magdalena nickte, natürlich kannte sie die Kaffeefirma mit der roten Bohne. In der Bar schenkten sie diesen Kaffee aus, Tassen, Untertassen, alles war von »Cicco-Caffè«.
»Sergio war ein liebenswerter Typ, gut gelaunt, ein Macher, so nennt man das doch, oder? Aber manchmal war er auch das Gegenteil.« Matteo stützte seine Ellbogen auf die Knie und verbarg sein Gesicht in den Händen.
»Ich habe dir ja schon erzählt, dass ich Nina aus meinem Dorf kenne und in Rom wieder getroffen habe, wir sind oft zusammen
unterwegs gewesen, ihre Freunde, meine Arbeitskollegen aus den Filmteams - das passte irgendwie. Und eines Tages habe ich sie mit Sergio bekannt gemacht.« Magdalena beugte sich vor, ihre Augen vor unguter Erwartung zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen.
»Sie haben sich gesehen, ineinander verliebtâ¦Â«, Matteos Stimme wurde immer leiser, »und noch bevor er ihren Nachnamen wusste, war sie schon schwanger mit Sofia, ihrer Tochter.« Er flüsterte jetzt nur noch: »Sag bitte niemals diesen Namen zu ihr!« Magdalena lief ein kalter Schauer über den Rücken, aber nicht, weil ihr T-Shirt ein wenig feucht von der Hängematte war.
»Ich wusste, dass Sergio manchmal nicht so gut drauf war, dass er Depressionen hatte. Meistens hat er sich dann verzogen, ist einfach abgehauen. Nina hat es nicht bemerkt, sie dachte, er brauche eben eine Auszeit. Und ich habe ihr den wahren Grund nicht gesagt, das wirft sie mir bis heute vor. Sofia war erst ein Jahr alt, als Sergio sie ⦠als er mit ihr ⦠er hat sie von seinen Eltern abgeholt und ist dann mit ihr verunglückt. Nina war das erste Mal mit einer Freundin für zwei Tage weggefahren, ein bisschen Erholung vom Babystress. Das kann sie sich bis heute nicht verzeihen.«
»Das ist entsetzlich«, flüsterte Magdalena und schaute ihn von unten an, »aber warum macht sie dir wegen des Unfalls Vorwürfe?«
»Weil man nicht weiÃ, warum es überhaupt zu dem Unfall kam. Er ist am helllichten Tag gegen einen Baum gefahren, da war rundherum nichts, nur dieser Baum. Kein Versagen der
Weitere Kostenlose Bücher