Magdalenas Garten
Bremsen, kein anderer technischer Defekt.« Er schüttelte den Kopf und richtete sich wieder auf.
»Damit muss Nina auch noch leben, diese Ungewissheit kommt noch zu aller Trauer, zu allen Schuldgefühlen hinzu.«
»Dass es Absicht gewesen sein könnte? Nein! Das glaube ich nicht! Das würde doch niemand ⦠würde man? Mit dem Kind im Wagen �« Matteo zuckte die Achseln. Magdalena presste die Luft aus ihren Lungen. »O Gott!«
»Wir hätten aus Rom weggehen sollen, nach Hause, in unser Tal oder sonst wohin, überall wäre es besser gewesen, aber sie wollte unbedingt bleiben, klammerte sich an die Wohnung, in der sie unerträglich schöne Stunden erlebt hatte, und ich auch. Wo das groÃe Bett auch nach Wochen noch von Sergio zerwühlt war, das Haus voll Babyduft, obwohl die Kinderzimmertür geschlossen blieb.«
Magdalena schluchzte auf, sie presste ihre Fäuste in die Augenhöhlen, bis es wehtat, sie weinte für Nina, sie weinte um die kleine Sofia, um Sergio, um die leeren Betten und die geschlossene Kinderzimmertür, bis sie Matteos Arm auf ihrer Schulter spürte.
»An dem Tag, an dem ich sie völlig weggetreten vor der Tür des Kinderzimmers liegen sah, die Fingerspitzen so daruntergeklemmt, dass sie schon ganz blau waren, habe ich sie aus der Wohnung rausgâschliffen. Ich wollte sie in eine Therapie bringen, aber sie wollt nicht.« Magdalena schaute fassungslos in sein bartstoppeliges Gesicht. Er stand von seinem Schemel auf und schlug mit der Faust gegen den Pinienstamm, an dem das FuÃteil der Hängematte befestigt war. Sie wagte nicht zu atmen.
»Das alles passierte vor zwei Jahren, und wenn du sie so siehst, denkst du, es ist alles in Ordnung. Aber nix ist in Ordnung, GAR NIX!« Die letzten Worte hatte er geschrien. Magdalena stand ungelenk aus der schwankenden Hängematte auf, im Stehen waren Matteos Wut und seine Trauer besser auszuhalten.
»Ein Jahr lang hat sie versucht, sich umzubringen, irgendwie
zu sterben, auf Raten. Hat gesoffen, irgendwelche Trips eingeschmissen, Ecstasy, keine Ahnung, sie zog nachts um die Häuser und hatte ständig andere Typen. Ich glaube, sie legte es darauf an, sich mit Aids zu infizieren oder von irgendeinem Irren erstochen zu werden! Ja! Schau mich nur an! Genau so war es!«
Magdalena hob die Hände: »Ich glaube dir ja!«
»Ich war nämlich dabei, ich habe versucht, sie zu schützen, vor sich selbst. Du hast keine Ahnung, was ich alles mit ihr erlebt habe, ständig musste ich sie irgendwo abholen - von der Polizeiwache, von der Unfallstation -, irgendwann war ich total fertig.« Magdalena war ganz schlecht.
»Und dann?«
»Habe ich ihr ein Ultimatum gestellt: Entweder gehen wir aus Rom weg, oder ich haue ab! Das war letzten Sommer, also sind wir auf Elba gelandet. Auf einer kleinen Insel hast du ganz schnell den Ruf einer Hure, habe ich ihr gesagt. Elba ist nicht so groà wie Rom, da kannst du nicht jeden Abend mit einem anderen mitgehen. Dann bin ich eben Hure, hat sie geantwortet, daraufhin habe ich ihr eine geschnellt.« Matteo hob die Hände. »Ein einziges Mal! Danach hat sie sich dann ein bisschen zusammengerissen.«
Magdalena starrte auf den mit Piniennadeln bedeckten Boden. Jetzt verstand sie Ninas Tagebucheintragungen aus dem letzten Jahr, deswegen hatte sie sich nur mit Männern eingelassen, die kurz darauf die Insel verlieÃen.
»Und dieses Jahr? Passt du immer noch auf sie auf.«
»Ja, scheint so. Neulich, als ich sagte, es sei ein schlechter Tag â¦Â«
»Das war der Todestag«, murmelte Magdalena.
Matteo rieb sich die Schläfen, als ob er starke Kopfschmerzen hätte. »Wir sind zu einer kleinen Kapelle gewandert, hoch oben am Steinbruch, ich wollte, dass sie endlich richtig trauert.
Wir haben Blumen mitgenommen und haben geweint, gelacht, haben uns erinnert. Das ist ein ziemlicher ScheiÃ, den wir da mit uns herumschleppen! Den werden wir nie mehr los!«
»Ich verstehe«, sagte Magdalena leise, »meine Geschichte kommt dir dagegen natürlich unbedeutend vor.«
»Maddalena«, sagte Matteo, und sein Blick war gequält, »nichts in deinem Leben ist unbedeutend, aber benimm dich bitte nicht so, als ob du das Unglück für dich gepachtet hättest.« Mit diesen Worten drehte er sich um und ging.
36
M agdalena suchte das Zimmer nach ihrem BH ab, endlich entdeckte sie ihn
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