Magermilch
Wasser erhitzen oder eine einfache Mahlzeit zubereiten wollte.
Strom gab es in der Hütte keinen.
Bei Schlechtwetter prasselte ein Holzfeuer im Herd, der zwei Kochstellen und ein kleines Heißwasserreservoir besaß und gleichzeitig die Stube wärmte.
Sprudel war wieder nach draußen gegangen, um den Tisch zu decken. Fanni nahm Wurst und Käse, Butter und Tomaten aus der Kühltasche, die sie mitgebracht hatte, und richtete alles auf einer Platte an. Als Sprudel zurückkam, griff er nach der Tüte mit den Vollkornbrötchen und leerte sie in einen kleinen Korb, den Fanni mit einer Serviette ausgelegt hatte.
Sobald der fertige Kaffee in der Kanne dampfte, brachten sie alles hinaus und setzten sich wieder an den Tisch. Fanni wollte gerade einschenken, da fiel ihr auf, dass Sprudels Mundwinkel enttäuscht nach unten hingen. Sie sah ihn fragend an.
»Hattest du«, begann er scheu, »nicht Golatschen nach Mirzas Rezept angekündigt?«
Fanni eilte lachend in die Hütte und kam mit einer flachen Schale zurück, auf der sich Klarsichtfolie über vier handtellergroßen Golatschen spannte. »Erst als Nachtisch«, sagte sie und stellte die böhmische Spezialität auf einem Baumstumpf gut zwei Meter vom Tisch entfernt ab.
Sprudel äugte verlangend herüber.
Fanni reichte ihm den Brotkorb.
Sprudel bediente sich. »Und kein Wort von Mord und Totschlag während des Essens«, bat er sich aus.
»Du hast recht«, stimmte ihm Fanni zu. »Lass uns für eine Weile die Sonnenstrahlen genießen. Lass uns auf das Blätterrauschen horchen, auf das leise Plätschern der Quelle, auf das Rascheln der Käfer und Spinnen.«
»Lass uns das Zusammensein auskosten«, fügte Sprudel hinzu.
Das taten sie fast eine Stunde lang. Nach dem Essen rückten sie ihre Stühle aus dem Halbschatten und ließen sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Bald darauf hörten sich Sprudels Atemzüge an, als ob er schliefe. Auch Fanni hatte die Augen geschlossen und versuchte, sich zu entspannen. Doch die Bilder, die sie heimsuchten, gönnten ihr keine Rast: Willis rücklings über dem Drahtseil hängender Körper, Fritz Maurers blutiger Kopf, Marthas tränenüberströmtes Gesicht. Als sich Hannes’ aufkleberbepflasterter Alfa dazugesellte, sagte sie laut:
»Willi hatte neulich eine Auseinandersetzung mit einem aus der Bergsteiger-Clique – Hannes Gruber.«
»Gruber«, murmelte Sprudel schläfrig. »Nach dem Brand meiner Scheune in Birkenweiler vergangenes Jahr hatte ich eine Lieferung Zaunlatten von der Firma Gruber-Hölzer.«
»Hannes ist der Inhaber«, erklärte Fanni.
»Und hatte Zank mit dem Ermordeten«, fügte Sprudel lustlos hinzu. »Weswegen?«
»Es ging um irgendwelche Aufträge«, antwortete Fanni. »In diesem Punkt gab es wohl zuvor schon Reibereien. Die Brüder Stolzer handeln seit jeher mit Holzwaren für den Innenraum. Hannes Gruber dagegen hatte sich auf Baumaterial spezialisiert – Dachlatten, rohe Balken, Paletten, Schalungsbretter. Aber irgendwann hat er angefangen, ihnen Konkurrenz zu machen.«
Das erwartete »Warum« kam nicht, deshalb schielte Fanni hinüber, ob Sprudel schon wieder eingeschlafen war. Doch er schien zuzuhören. Da sprach Fanni weiter: »Martha sagt, der Ärger habe nicht auf Geschäftsebene begonnen, sondern im Deggenauer Klettergarten.«
Sprudel setzte sich auf.
Durch sein plötzliches Interesse angeregt, begann Fanni des Langen und Breiten zu berichten: »Anfang der Neunziger kam ein ehemaliger Vorstand der Alpenvereinssektion Deggendorf auf die Idee, am Deggenauer Felsen den Klettersteig zu erweitern. Aus – für die meisten – unerfindlichen Gründen hielt er das Projekt geheim. Nur ganz wenige ausgesuchte Freunde weihte er ein und bat sie, ihm dabei zu helfen. Willi gehörte dazu, sein Bruder Toni und soviel ich weiß auch Rudolf Hummel, ebenfalls einer aus unserer Bergsteiger-Clique. Die Deggendorfer reden noch heute von einer Nacht-und-Nebel-Aktion, denn die Truppe rückte angeblich unversehens an und baute innerhalb weniger Stunden die beiden Leitern ein, dazu Drahtseilversicherungen, Haltestifte – alles, was halt für so eine Kletteranlage vonnöten ist.«
»Nobler Einsatz«, kam es beifällig von Sprudel.
»Das sagten viele«, erwiderte Fanni. »Sicherlich war der Initiator entsprechend stolz auf seine Aktion. Aber er hätte sie wohl doch besser vorher ankündigen sollen. Sein Nachfolger fühlte sich brüskiert und setzte alle Hebel in Bewegung, um die Anlage wieder zum Verschwinden zu bringen. Er
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