Magermilch
kleine Teich war mit Schilf schier zugewachsen. »Eine Menge zu tun«, grummelte Fanni. Sie würde kommende Woche ein, zwei Vormittage dafür opfern müssen. Vormittage, die sie lieber mit Sprudel verbracht hätte – mit Sprudel auf der Suche nach Willis Mörder.
Voller Schreck fiel ihr ein, dass sie in den vergangenen Tagen vergessen hatte, das kleine Gemüsebeet zu bewässern, auf dem jedoch sowieso bloß Schnittlauch, Petersilie und ein paar mickrige Karotten wuchsen, die ihr Kraut jetzt schlaff hängen ließen.
Fanni nahm die Gießkanne und eilte zur Wassertonne neben der Thujenhecke. Dahinter hörte sie Frau Itschko telefonieren. Hastig tauchte Fanni die Kanne ein und versuchte, ihr Gehör abzuschalten. Sie hasste es, die Litaneien über Frau Itschkos Ehenöte mitanhören zu müssen, über ihren Ärger mit den Blattläusen und über allerlei sonstigen Verdruss, der die Nachbarin tagtäglich heimzusuchen schien.
Die Itschkos waren eine Plage. Nur selten herrschte Ruhe hinter der Hecke. Wenn Frau Itschko gerade mal nicht telefonierte, bekam sie Besuch. Dann musste Fanni nicht nur eine Stimme ausblenden.
Plötzlich zuckte sie zusammen, ließ die Gießkanne im Wasser versinken und sperrte die Ohren ganz weit auf.
»Stolzer«, sagte Frau Itschko gerade laut und deutlich, »ja, Stolzer, die mit der Holzhandlung an der Straße nach Stephansposching. – Ja, zwei Brüder. Der ältere ist neulich im Klettergarten umgekommen. Jemand soll sein Sicherungsseil durchgeschnitten haben.«
Fanni zwängte sich zwischen Wassertonne und einen der Thujenstämme.
»… und kurz zuvor ist die Gisela verschwunden«, sagte Frau Itschko. »Du musst dich doch an Gisela erinnern. – Genau die, mit der ich immer die Sketche auf den Pfarrbällen aufgeführt habe. – Natürlich, ein Riesenerfolg war das jedes Mal. Ich muss aber ganz ehrlich zugeben, dass das an Gisela lag. – Ein Bühnenstar, das kann man wohl sagen.«
Es raschelte hinter den Thujen, und Fanni machte sich ganz klein.
»… ihre Kostüme«, hörte sie Frau Itschko weitersprechen. »Ja, damit hat sie sämtliche Preise auf den Faschingsveranstaltungen abgeräumt. Als Kleopatra …«
Frau Itschko unterbrach sich, weil ihre halbwüchsige Tochter aus einem der Fenster rief: »Mama, wir müssen los. Ich komm sonst zu spät zum Tennisplatz.«
Wie immer reagierte Frau Itschko recht unwillig auf die Störung. »Wir kommen schon früh genug hin. Pack deine Sachen zusammen und lass mich in Ruhe zu Ende telefonieren.«
Das Fenster schloss sich mit einem Knall.
»Kontakt?«, sagte Frau Itschko. »Ach so, Kontakt mit Gisela. Also der beschränkte sich eigentlich meist auf die Faschingszeit, wenn wir die Auftritte geprobt haben. – Nein, mir hat sie nicht erzählt, dass sie hier wegwollte. – Natürlich hat sie sich immer gewünscht, auf einer richtigen Bühne zu stehen. – Eine Filmrolle, ja, das wär’s gewesen. – Da fällt mir doch ein, ja, jetzt fällt’s mir ein. Die Gisela hat am Faschingsdienstag, nachdem wir ihn eingegraben hatten, den Fasching, so eine komische Bemerkung gemacht. ›Wenn ich es doch noch auf die Leinwand schaffe‹, hat sie gesagt, ›dann habe ich das dem Johann mit seiner Alfawelt zu verdanken.‹ Und dann, drei oder vier Monate später, war sie verschwunden. – Ja, eben, Gisela hatte immer eine tolle Figur. Und sie hat alles getan, dass es so blieb.«
»Du sollst nicht die Kanne ersäufen, sondern die Pflanzen wässern.«
Fanni erschrak dermaßen, dass sie sich reflexartig am Rand der Wassertonne festklammerte. Dabei rutschte sie ab, und ihr rechter Arm tauchte bis zur Schulter ins Wasser.
»Wonach fischst du denn?«, fragte Hans Rot.
»Mama, komm jetzt«, hallte es vom Nachbargrundstück.
»Servus, Hilda. Servuuus, mach’s guut«, flötete es hinter der Hecke.
6
»Oma«, rief Max, kaum dass Fanni aus dem Wagen gestiegen war. »Du musst heute mitkommen zum Fußballspiel, du musst. Wir spielen gegen Stockheim. Ich bin der Rechtsaußen.«
Fanni lächelte ihrem Enkel zu und fragte sich, von wem er die Gene für Ballgefühl geerbt hatte.
Von Fanni Rot gewiss nicht!
Vor drei Jahren, bald nach seiner Einschulung, war Max für die Nachwuchsmannschaft des FC Klein Rohrheim ausgewählt worden. Seit der vergangenen Saison lobte ihn der Trainer über den grünen Klee, und Vera platzte schier vor Stolz. Sie versäumte kein einziges Spiel und gebärdete sich auf der Zuschauerbank wie eine Besessene.
Vor etlichen Wochen, am
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