Magermilch
ging sogar so weit, den Sicherheitsbeauftragten des Alpenvereins nach Deggendorf zu beordern, weil er hoffte, der würde das Ganze als Pfuschwerk diskreditieren.«
Fanni deutete auf eine alte Ausgabe der Deggendorfer Zeitung, die sie zum Auspolstern der Lücken in dem Korb mit den Saftflaschen verwendet hatte, der im Schatten der Buche stand. »Nicht nur die lokale Presse war dabei, als Pit Schubert den Klettergarten in Augenschein nahm. Er blickte lange Zeit die Felswände hinauf und hinunter, heißt es. Dann soll er gesagt haben: ›Einen netten kleinen Klettersteig habt ihr da. Saubere Arbeit.‹ Dem amtierenden Vorstand wird nachgesagt, er sei daraufhin dunkelrot angelaufen und hätte gebrüllt: ›Aluminiumseile. Alte Hochspannungsseile von der OBAG. Seit wann benutzt man für Klettersteige Aluversicherungen? Stahl ist vorgeschrieben. Verzinkter Stahl.‹ – ›Stahl ist mitnichten vorgeschrieben‹, soll Pit Schubert geantwortet haben. ›Stahl wird halt verwendet, weil er eine längere Lebensdauer hat als Aluminium. Aber ihren Zweck erfüllen Aluseile genauso.‹
Damit war das Projekt abgesegnet und gebilligt. Der amtierende Vorstand musste sich für das Eigentor, das er geschossen hatte, im Verein bespötteln lassen. Willi schrieb einen ausführlichen Artikel für ein Bergsteigermagazin, und die Fotos, die er beifügte, wurden überaus gelobt.« Fanni schwieg und nickte wie zur Bestätigung ein paarmal vor sich hin.
Bevor Sprudel dazu kam, nach der aus Fannis Geschichte nicht ersichtlichen Verknüpfung mit Hannes Gruber zu fragen, erinnerte sie sich selbst wieder an den Anlass für ihren Exkurs. »Die Brüder Stolzer machten also bei der Anlage des Klettergartens mit. Nach Hannes fragte niemand. Er fühlte sich übergangen und war sauer. Sauer auf Willi, obwohl der gar nichts dafürkonnte. Wie auch immer, Hannes bockte, schlug sich sogar auf die Seite derjenigen, die den Abbau sämtlicher Drahtseile und Leitern verlangten. Von da an, meint Martha, war nichts mehr wie früher. Hannes begann mehr und mehr, den Stolzers Konkurrenz zu machen. Er nahm plötzlich Bodendielen in sein Sortiment auf, fing an, Regalbausätze anzubieten, und so weiter.«
»Die Lage spitzte sich zu«, resümierte Sprudel, »es kam zu einer offenen Auseinandersetzung, und das beschert uns Hannes Gruber als Verdächtigen.«
»Ich muss mit ihm reden«, sagte Fanni.
»Überlass das Frankl oder Marco«, erwiderte Sprudel.
Gemeinsam räumten sie den Tisch ab. Fanni verstaute die Reste ihrer Mahlzeit in der Kühltasche, die für Marco und Leni noch gut bestückt war. Sprudel klappte die Campinggarnitur zusammen und stellte sie unters Vordach. Dann machten sie sich gemeinsam an den Abwasch. Sprudel fragte nach Fannis Plänen fürs Wochenende.
Fanni seufzte. »Gestern, spätabends, hat Hans Rot angekündigt, dass er am Samstag in aller Früh zu Vera fahren will.«
Sprudel trocknete schweigend eine Kaffeetasse ab. Fanni ließ ihm Zeit, sich zu fangen. Sie wusste, wie enttäuscht er darüber war, dass sie am Wochenende verreisen würde.
Vera wohnte in Klein Rohrheim, einem Dörfchen am Rhein. Ihr Mann Bernhard war dort Leiter der Sparkassenfiliale. Das Haus, in dem sie mit ihren Kindern Max und Minna wohnten, hatte Bernhard von seiner Großmutter geerbt. Es erwies sich als permanent renovierungsbedürftig.
»Ich und Bernhard wollen uns endlich über die Rohrleitungen im Keller hermachen«, hatte Hans Rot über die Schulter gerufen, als er vor dem Fernsehapparat gesessen und auf den Anpfiff zum Champions-League-Spiel gewartet hatte. An den Fingern hatte er abgezählt: »Ich habe Flansche besorgt, Schraubenbolzen, Muttern, Flügelschrauben, Rundkappen …«
Und er hatte als selbstverständlich vorausgesetzt, dass Fanni mitkam.
»Ich muss noch packen«, sagte Fanni zu Sprudel, als sie mit dem Spülen fertig war.
Er nickte trübsinnig, hängte das Geschirrtuch zum Trocknen über die Ofenstange und begann, die sauberen Teller und Tassen auf das Bord über der Polsterliege zu stellen.
Fanni legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich werde Leni sagen, sie und Marco sollen dich am Wochenende mal besuchen kommen.«
Sprudels Miene hellte sich ein klein wenig auf. Fanni gab ihm einen Kuss. »Am Montag in aller Frühe melde ich mich bei dir.«
Auf der Heimfahrt hielt sie an dem neuen Supermarkt an der Straße zwischen Erlenweiler und Birkdorf an, um ein paar Vorräte einzukaufen, die sie mit nach Klein Rohrheim nehmen wollte, denn Veras
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