Magermilch
Kühlschrank war chronisch unterbestückt.
Sie kramte gerade nach ihrem Chip für den Einkaufswagen, als sie hinter sich eine angenehme Stimme hörte.
»Frau Rot, was für eine Überraschung. Wohnen Sie in Birkdorf?«
Fanni schüttelte den Kopf. »In Erlenweiler, das liegt ein Stück weiter die Straße hinunter. Wenn Sie von Deggendorf hergefahren sind, müssen Sie daran vorbeigekommen sein.« Sie schaute Fritz Maurer fragend an. »Und was treibt Sie hierher? Sollten Sie sich nicht schonen? Wollen Sie Ihre Verletzung nicht vorsichtshalber noch im Krankenhaus untersuchen lassen? Haben Sie schon Anzeige erstattet?«
Maurer lachte, wobei sich die Fältchen um seine wasserblauen Augen vertieften. »Das sind aber viele Fragen auf einmal. Wir wollen mal sehen, ob ich sie alle behalten habe.« Er begann aufzuzählen: »Nach Birkdorf hat mich eine Kundenreklamation getrieben. Zum Schonen fehlt mir die Zeit, genauso wie für zusätzliche Untersuchungen und für eine Anzeige bei der Polizei.«
»Und Sie haben wirklich keinen Schimmer, wer Sie überfallen hat?«, fragte Fanni.
Maurer sah sie ernst an. »Ich konnte den Angreifer keinen Augenblick lang sehen. Aber man macht sich natürlich so seine Gedanken.« Er zögerte, fügte dann aber doch hinzu: »In letzter Zeit gab es eine Menge Ärger mit der Konkurrenz.«
»Hannes Gruber.«
Maurer nickte. »Vor ein paar Wochen kam es zwischen ihm und Willi sogar zu Handgreiflichkeiten.«
Fannis ungläubige Miene bewog ihn offenbar, fortzufahren: »Es ging um eine umfangreiche Lieferung an die Stadt Deggendorf. Hannes Gruber hat behauptet, die Stolzers hätten ihm den Auftrag auf ganz infame Art und Weise weggeschnappt. Er war nicht davon abzubringen, hat sich immer mehr in Beschuldigungen verstiegen. Eines Morgens ist er schnurstracks in den Ausstellungsraum marschiert, wo Willi zusammen mit einigen Angestellten die neue Dekoration aufbaute. Dort hat er lauthals verkündet, er hätte den Auftrag schon in der Tasche gehabt. Und da wäre er auch verblieben, hätte Willi nicht seine ›Nutte von Schwägerin‹ die Runde bei den Stadträten machen lassen.«
Fanni zog eine Grimasse. »Das sieht Hannes ähnlich. Immer vulgär, immer ausfallend, immer mit fragwürdigen Anschuldigungen bei der Hand. Willi kannte das doch. Er dürfte nicht einmal mit der Wimper gezuckt haben.«
»Er hat Hannes Gruber am Revers gepackt und aus dem Geschäft bugsiert. Es gab ein Handgemenge«, antwortete Maurer, »und jeder konnte zusehen.«
Fanni schloss die Augen. Haben wir uns alle verändert mit den Jahren?, dachte sie. Sind wir kleinkariert geworden, engstirnig, borniert, spießig, pedantisch …?
Hat sich der eine oder andere in einen Mörder verwandelt?
Sie riss sich zusammen. »Die beiden hatten Krach. Sie haben sich sogar geprügelt. Aber Sie denken doch nicht, dass Hannes zuerst Willi … und dann Sie …? Wozu? Der Auftrag war ja schon weg.«
»Wut, Rache, Verbitterung«, erwiderte Maurer. »Da kann sich einiges angestaut haben. Aber um das beurteilen zu können, kenne ich ihn zu wenig.«
»Heimtückisch geplanter Mord«, murmelte Fanni, »das passt nicht zu Hannes. Allerdings wusste er gewiss, wo Willi seinen Klettergurt aufbewahrte, und hatte bestimmt die Möglichkeit, sich in den Stolzer’schen Keller zu schleichen …« Sie starrte bekümmert auf einen zerknüllten Kassenbon zu ihren Füßen.
»Stichhaltige Indizien, die Sie da anführen«, sagte Maurer. »Genauso wie die Tatsache, dass Grubers Wagen zu dem Zeitpunkt, als ich angegriffen wurde, auf dem Kundenparkplatz stand. Haben Sie ihn nicht selbst gesehen? Auffällig genug ist er ja.«
Hast du, obwohl du normalerweise Autos so wenig beachtest wie Hans Rot Swarovski-Figürchen. Aber der Wagen von Hannes Gruber sticht halt überall heraus.
Fanni rieb sich die Augen.
»Ich sollte vielleicht doch bald zur Polizei gehen«, sagte Maurer. »Ja, das werde ich tun, und zwar noch heute.« Bevor er sich zum Gehen wandte, lächelte er Fanni zu. »Und Ihnen wünsche ich einen schönen Tag, Frau Rot.«
Scheint, als würde es eng werden für Hannes Gruber!
Als Fanni nach Hause kam, war das Rot’sche Grundstück verwaist. Weder Lenis noch Hans Rots Wagen stand in der Zufahrt.
Fanni entschied, noch schnell eine Runde durch den Garten zu drehen, um nachzusehen, was anlag.
Die Rosenköpfe vor der Terrasse waren verwelkt und mussten abgeschnitten werden, der wilde Wein wucherte schon wieder über die Steintreppe zum Keller, und der
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