Maggie O´Dell 01 - Das Boese
Schnees absagen? Er hoffte nicht.
„Timmy?“ Seine Mutter kam in Großmutters Decke eingewickelt barfuß in die Küche. Sie sah lustig aus mit ihrem wirren Haar und den verschlafenen Augen. „Bleibt die Schule geschlossen?“
„Ja. Fünf Tage frei.“ Er setzte sich und nahm einen Löffel voll, ehe sie die Packung Cap‘n Crunch bemerkte. „Glaubst du, dass wir trotzdem zum Camping fahren?“ fragte er mit vollem Mund und nutzte den Umstand, dass sie zu müde war, seine Manieren zu korrigieren.
Sie ging hin und her, füllte die Kaffeemaschine und stolperte fast über die noch aufgezogenen Schubladen. Sie stieß sie mit dem Fuß zu, ohne zu schimpfen.
„Ich weiß nicht, Timmy. Immerhin haben wir erst Oktober.
Morgen könnte es schon wieder warm sein, und der Schnee ist weg. Was sagt denn der Wetterdienst im Radio?“
„Bisher haben sie nur gemeldet, welche Schulen geschlossen bleiben. Es wäre echt cool, im Schnee zu campen.“
„Es wäre echt kalt und dumm, im Schnee zu campen.“
„Ach Mom, hast du denn keine Abenteuerlust?“
„Nicht, wenn du anschließend mit Lungenentzündung flach liegst. Du bist auch so schon oft genug krank und lädiert.“
Er wollte sie darauf hinweisen, dass er seit letztem Winter nicht mehr krank gewesen war, aber dann hätte sie vielleicht mit seinen Prellungen vom Fußballspielen gekontert.
„Ist es okay, wenn ich heute mit ein paar Jungs zum Rodeln gehe?“
„Du musst dich warm anziehen, und du benutzt nur deinen Schlitten. Keine Reifen.“
Die Liste der geschlossenen Schulen war endlich verlesen, und die Nachrichten begannen. „Laut einem Artikel des Omaha Journal wurde gestern Abend am Platte River eine weitere Jungenleiche gefunden. Wie das Büro des Sheriffs soeben bestätigt, handelt es sich bei dem Toten um Matthew Tanner, der ...“
Seine Mom schaltete das Radio aus, und im Raum war es totenstill. Sie drehte ihm den Rücken zu und schien sich für etwas vor dem Fenster zu interessieren. Die Kaffeemaschine brummte und begann ihr rhythmisches Gurgeln. Timmys Löffel schlug gegen sein Schälchen. Der Kaffee roch gut. Ehe das Aroma nicht die Küche durchzog, schien gar nicht Morgen zu sein.
„Timmy.“ Seine Mom kam um den Tisch herum und setzte sich ihm gegenüber. „Der Mann im Radio hat Recht. Sie haben Matthew gestern Abend gefunden.“
„Ich weiß“ , erwiderte er und aß weiter, obwohl es ihm plötzlich nicht mehr so gut schmeckte.
„Du weißt? Aber woher denn?“
„Ich habe es mir gedacht, weil Onkel Nick und Agentin O‘Dell gestern Abend so eilig wegmussten. Und weil du die ganze Nacht durchgearbeitet hast.“
Sie langte herüber und strich ihm das Haar aus der Stirn. „Mein Gott, du wirst so schnell groß.“
Sie streichelte ihm die Wange. In der Öffentlichkeit hätte er ihr dafür auf die Finger geschlagen, aber hier war es okay. Es gefiel ihm sogar irgendwie.
„Woher hast du die Cap‘n Crunch?“
„Die hast du gekauft. Sie standen bei den anderen Cornflakes.“ Er gab sich noch etwas davon in sein Schälchen, das noch nicht leer war, nur für den Fall, dass sie ihm die Packung wegnehmen sollte.
„Ich muss sie versehentlich gegriffen haben.“
Der Kaffee war fertig. Sie stand auf, ließ die Decke über der Stuhllehne liegen und die Packung auf dem Tisch.
„Mom, wie fühlt es sich an, tot zu sein?“
Sie verschüttete Kaffee auf der Arbeitsplatte und schnappte sich ein Handtuch, um die Pfütze aufzutupfen, damit sie nicht auf den Boden floss.
„Entschuldige“ , sagte er, als er merkte, dass seine Frage ihre Ungeschicklichkeit ausgelöst hatte. Manche Sachen brachten Erwachsene ganz schön durcheinander.
„Ich weiß es wirklich nicht, Timmy. Das ist wahrscheinlich eine gute Frage für Pater Keller.“
42. KAPITEL
Das Frühstück, das Maggie bei Wanda bestellt hatte, stand unangetastet auf dem kleinen Tisch. Es war in einer Isolierpackung geliefert worden, war auf Porzellan serviert und mit Edelstahlhauben abgedeckt. Dampf war vom Teller aufgestiegen, als der Portier stolz die Haube gehoben hatte, als hätte er es selbst zubereitet. Sie wurde zur Stammkundin in Wandas Küche, ohne je einen Fuß in ihr Lokal zu setzen.
Goldgelbe Eier, gebutterter Toast und Wurstscheiben dufteten lecker, doch sie hatte den Appetit verloren. Er war ihr wohl auf dem Badezimmerboden bei dem Versuch abhanden gekommen, ihre Angst zu unterdrücken. Lediglich ihren Cappuccino rührte sie an. Ein Schluck, und sie dankte Wanda für ihre Umsicht,
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