Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
kompromissfähig.“ Cunningham beugte sich wieder vor, Ellbogen auf den Tisch, die Hände zur Faust geschlossen. „Erstens, Agent Tully leitet diese Ermittlung. Ich erwarte, dass Sie alle Informationen und Erkenntnisse umgehend an ihn weitergeben. Sie werden nicht - ich wiederhole, Agentin O’Dell, Sie werden nicht ohne Agent Tullys Begleitung auf Verbrecherjagd gehen oder einer Ahnung folgend irgendetwas überprüfen. Haben Sie das verstanden?“
„Natürlich“, erwiderte sie, die Stimme wieder kräftig und fest.
„Zweitens. Ich möchte, dass Sie unseren Psychologen aufsuchen.“
„Sir, ich glaube wirklich nicht ...“
„Agentin O’Dell, ich sagte, es gibt keine Verhandlungen undkeine Kompromisse. Ich überlasse es Dr. Kernan, wie viele Sitzungen er pro Woche mit Ihnen abhalten will.“
„Dr. James Kernan?“ Maggie war entsetzt.
„Richtig. Ich habe von Anita Ihren ersten Termin festmachen lassen. Vergewissern Sie sich beim Hinausgehen, ob er Ihnen passt. Anita richtet Ihnen auch ein neues Büro ein. Agent Tully belegt ihr altes. Wenn Sie beide mich jetzt entschuldigen würden.“ Er lehnte sich wieder zurück und entließ sie.
Tully sammelte seine Unterlagen ein und wartete an der Tür auf O’Dell. Für jemand, der bekommen hatte, was er sich seit fünf Monaten wünschte, wirkte sie eher aufgebracht als erleichtert.
30. KAPITEL
Tess freute sich auf ihren morgendlichen Termin. Während sie die leeren Straßen entlangfuhr, fühlte sie sich jedoch ein wenig schuldig, weil sie aus Daniels Haus geschlichen war, ohne sich von ihm zu verabschieden. Sie hatte einfach nicht die Energie für einen weiteren Streit aufgebracht. Er würde mäkeln, weil sie so früh wegfuhr, um zu Hause zu duschen und sich umzuziehen, obwohl sie das doch bei ihm tun könnte. Der eigentliche Grund, warum er sie stets zum Bleiben drängte, war jedoch Sex, weil er morgens besser drauf war.
Er sagte dann Lächerlichkeiten wie: „Wir haben so wenig Zeit füreinander, wir brauchen die zusätzlichen Minuten am Morgen.“
Nach jeder Nacht bei ihm kam dasselbe Argument: „Wie sollen wir jemals feststellen, ob wir zusammenpassen, Tess, wenn wir nicht morgens im Bett zusammen die New York Times lesen oder frühstücken?“
Er hatte tatsächlich diese Beispiele gebracht. Wie konnte er soeinen Blödsinn reden, wo er bei ihren gemeinsamen Essen doch kaum mit ihr sprach? Ob sie zusammenpassten, interessierte ihn nur dann, wenn sie für schnellen Sex bleiben sollte. Neunundneunzig Prozent der übrigen Zeit war ihm gleichgültig, was ihrer Beziehung gut tat. Nicht dass sie eine Ahnung gehabt hätte, was eine funktionierende Beziehung brauchte. Vielleicht gehörte dazu, gemeinsam die New York Times zu lesen und im Bett zu frühstücken. Woher sollte sie das wissen? Sie hatte noch keine funktionierende Beziehung gehabt und auch noch keinen Freund wie Daniel Kassenbaum.
Daniel war gebildet, intelligent und kultiviert. Herrgott, der Mann füllte das Kreuzworträtsel der New York Times mit Tinte aus! Aber im Gegensatz zu Daniel machte sie sich über ihre Beziehung keine Illusionen. Sie wusste, dass sie wenig gemeinsam hatten. Er betrachtete sie eindeutig nicht als ebenbürtig und wies oft auf ihre Defizite hin, als sei sie seine Eliza Doolittle. Erst neulich, als sie ihn gefragt hatte, ob sie ihren Verkaufsbonus investieren sollte, hatte sie sich nach seinem Hinweis, sie solle sich nicht in etwas stürzen, wovon sie nichts verstand, wie ein Dummchen gefühlt.
Haushoch überlegen war sie ihm allerdings beim Sex. Er hatte ihr oft - allerdings nur in der Hitze der Leidenschaft - gesagt, dass sie der „phänomenal beste Fick“ war, den er je gehabt habe. Aus irgendeinem Grund bereitete es ihr ein perverses Vergnügen, auf diese Weise Macht über ihn zu haben, die allerdings nur Kälte und Leere hinterließ. Sex mit Daniel, obwohl phänomenal für ihn, war weder erfreulich noch befriedigend für sie.
Sie hatte sich schon gefragt, ob sie überhaupt zu echter Leidenschaft fähig war - ob sie jemals das empfinden konnte, was sie Daniel ständig vorspielte. Dass ausgerechnet Will Finley, ein Fremder, Leidenschaft in ihr geweckt hatte, beruhigte sie keineswegs. Dienoch frische Erinnerung an Will, der genau gewusst hatte, wie er sie mit Zärtlichkeiten berauschen konnte, führte ihr Daniels Unzulänglichkeiten umso krasser vor Augen. Fast wünschte sie, die Nacht mit Will zu vergessen, ausgelöscht von zu viel Tequila. Stattdessen dachte sie kaum
Weitere Kostenlose Bücher