Magic Cleaning
eigentlicher Zweck bestand. Ein alter Brief hat seine Aufgabe in dem Moment erfüllt, in dem wir ihn erhalten und gelesen haben. Es gibt keinen Grund, ihn aufzuheben. Der Absender hat eh längst vergessen, dass er Ihnen vor Jahren mal geschrieben hat.
Das Armkettchen, das Sie von einem verflossenen Freund bekommen haben, können Sie als hübsches Accessoire behalten (falls es Ihnen noch gefällt und es Sie glücklich macht). Wenn Sie es aber behalten, weil Sie immer noch darüber grübeln, warum die Beziehung in die Brüche ging, dann empfehle ich Ihnen, es zu entsorgen. Solange Sie es nicht tun, vergeben Sie die Chance auf eine neue, unbelastete Auffrischung der Freundschaft.
Wichtig ist nicht die Erinnerung an die Vergangenheit, sondern die Beschäftigung mit dem Ich, das in der Vergangenheit bestimmte Erfahrungen gemacht hat. Beim Aufräumen lernen wir anhand der Betrachtung jedes einzelnen Gegenstandes ein weiteres Mosaiksteinchen unserer Persönlichkeit kennen. Und dies hilft uns, den Blick von der Vergangenheit zu lösen und auf genau die Zukunft zu richten, die wir uns wünschen.
Unglaublich, was manche Menschen horten
E s gibt zwei Arten von Überraschungen, die ich erlebe, wenn ich bei und mit Klienten aufräume: Ich bin überrascht von der Existenz der Dinge an sich, oder ich bin überrascht von der Menge der Dinge. Es passiert immer wieder, dass ich in Anbetracht der puren Existenz einer Sache aus dem Staunen nicht mehr herauskomme. Das sind manchmal hochspezialisierte Geräte zur Erzeugung von Beats und Sounds, wie sie ansonsten nur in Tonstudios stehen. Oder ich lerne bei einer kochbegeisterten Klientin technisch ausgetüfteltes Küchenequipment kennen, das vermutlich sogar zum Mars fliegen kann. Meist sage ich dann: «Was es nicht alles gibt!» – Und die Besitzer platzen vor Stolz. Ich liebe diesen Aspekt meines Berufes, denn da meine Klienten sehr verschiedene Hobbys haben und den unterschiedlichsten Tätigkeiten nachgehen, bekomme ich Dinge zu Gesicht, die ich sonst vielleicht niemals sehen würde.
Was jedoch wirklich überrascht – die zweite Art der Überraschung –, hat mit «Menge» zu tun. Es ist kaum zu glauben, welche Berge von Dingen ich hier und da antreffe. Oftmals nichts Exotisches, sondern ganz normale Gegenstände, die in jedem ganz normalen Haushalt vorhanden sind. Aber eben nicht ein oder zwei Stück davon, nein, viel mehr, geradezu riesige Vorräte. Bei meiner Arbeit mache ich mir immer Notizen, welche Mengen von bestimmten Dingen ich im Haus meiner Klienten antreffe und um welche Mengen der Besitz schätzungsweise verringert werden müsste beziehungsweise am Ende tatsächlich verringert wurde. In meinen Aufzeichnungen sind bis jetzt einige Rekorde aufgestellt – und einige davon zwischenzeitlich schon wieder gebrochen – worden. Lesen Sie die Beispiele, und Sie werden verstehen, was ich meine.
Zahnbürsten
Eines Tages entdeckte ich im Haus einer Klientin eine große Menge von Zahnbürsten. Der Zahnbürsten-Rekord lag bis dato bei 35 Stück. Damals kommentierte ich dies nur mit einem Lächeln und der Bemerkung: «Das ist aber ein bisschen übertrieben, nicht wahr?» Doch der neue Rekord liegt nun bei sage und schreibe 60 Stück! Die in einer Schachtel unter dem Waschbecken ordentlich aufgereiht gelagerten Zahnbürsten hatten schon fast etwas von einem modernen Kunstwerk an sich. Da der Mensch bekanntlich dazu neigt, sich auch für die schrägsten Phänomene eine logische Erklärung zurechtzuzimmern, fing ich an zu spekulieren. Zum Beispiel, dass der Besitzer einen extrem hohen Verbrauch hat, da durch das Zähneputzen mit hohem Druck die Bürsten sich sehr schnell abnutzen. Oder dass jeder Zahn mit einer eigenen Bürste gesäubert wird …
Frischhaltefolie
Ein Beispiel aus der Küche. Vorausgeschickt sei, dass der Rekord im Horten von Frischhaltefolie bei 30 Rollen liegt. Als ich im Haus einer Klientin den Hängeschrank über dem Spülbecken öffnete, sah ich eine bunte Wand, fast wie aus Legosteinen gebaut. «Ich benutze halt jeden Tag Klarsichtfolie, da kommt einiges zusammen», sagte die Klientin. Doch selbst bei einem Verbrauch von einer ganzen Rolle pro Woche hätte dieser Vorrat länger als ein halbes Jahr gereicht. Eine normale Rolle Frischhaltefolie hat eine Länge von 20 Metern, damit könnte man pro Woche bequem 66 Schüsseln à 20 Zentimeter Durchmesser abdecken. Allein bei der Vorstellung, 66 Schüsseln abzudecken, bekomme ich schon Schmerzen im
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