MAGICA MATHEMATICA
bist du?“, fragt ihn Signore Parini. „Ich werde im Herbst fünfzehn“,
antwortet Pedro. „Gefällt dir die Arbeit auf der Baustelle?“, fragt Signore
Parini. „Ja, die Arbeit auf dem Bau gefällt mir viel besser als alles andere.“
– „So? Was arbeitest du denn sonst?“ – „Oh, nichts festes, mal hier mal da,
immer wo man mich gebrauchen kann“, antwortet Pedro ein wenig verlegen. „Und wo
kann man dich noch gebrauchen?“- „Im Herbst helfe ich meinem Onkel Peppino bei
der Olivenernte.“ – „So so. Im Herbst? Und was arbeitest du im Winter?“ – „Da
fahre ich mit Antonio meinem ältesten Cousin Kohlen aus.“ – „Du Hering
schleppst die zentnerschweren Kohlensäcke in die Keller der Häuser?“ – „Ja.“ Signore
Parini gibt sich einen Ruck: „Würdest du einen Beruf lernen wollen?“ - „Ja, Maurer.
Aber ...“, Pedro kommt ins Stocken. Michele mischt sich ein: „Er würde ja gerne
Maurer lernen, aber dafür fehlen ihm die schulischen Voraussetzungen. Er
besuchte nur die Grundschule. Außerdem ist für Pedro das Arbeiten notwendiger
als das Lernen in der Schule, weil er als Erstgeborener zum Lebensunterhalt der
Familie beiträgt. Hier in Italien gibt es ja immer noch keine Schulpflicht.“
Signore
Parini springt nochmal über seinen Schatten: „Pedro, komme morgen zur
Baukunstschule. Wie jedes Jahr veranstalten wir einen Wettbewerb zur Aufnahme
an die Schule. Es ist auch der Wunsch meiner Tochter Carla. Ihr beide sollt
morgen eine Chance bekommen. Schafft ihr die euch gestellten Aufgaben, kannst
du die Ausbildung zum Maurer und Carla die Ausbildung zur Steinbildhauerin an
der Baukunstschule antreten. Bei dir übernimmt dann die Contrada das Lehrgeld.“
– Pedro stehen die Tränen in den Augen. Er sagt nur: „Danke. Danke Signore
Parini.“
Noch
ganz benommen geht Pedro zurück an seine Arbeit. Matteo freut sich für Pedro.
Pedro rührt weiter den Kalkmörtel an. Die Stunden bis zum Feierabend gehen
jetzt schneller vorüber. Morgen entscheidet es sich, ob Pedro den Maurerberuf
erlernen darf oder ob er sich weiterhin als Hilfsarbeiter durchs Leben schlägt.
Nach der Arbeit will Pedro als erstes in der Kapelle mit seinem Papa reden,
weil der morgige Tag so wichtig ist.
Pedros Ziel
Die Hitze staut sich an diesem Tag in den
Gassen wie eine unsichtbare Mauer. Das Abendläuten der Kirche San Niccoló del
Carmine im südöstlichen Teil der Stadt ist Pedro so vertraut, wie der Ruf
seiner Mutter zum Mittagessen. Pedro ist an seinem Lieblingsort: Die kleine
Cappella del Sacramento, die zu dieser Kirche gehört. Die morsche Eichentür
knarrt und Pedro öffnet sie nur ein Stück weit. Dunkelheit umfängt ihn beim
ersten Schritt in die Kapelle. Pedro tritt barfuß auf den alten, kalten
Steinboden. Es ist ihm mulmig Wie in jeder Kirche riecht es nach Weihrauch,
Kalk, Moder und altem Holz. Ehrfürchtig taucht er seine Hand in die
Weihwasserschale an der Wand und schlägt das Kreuzzeichen: „Im Namen des
Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Die Kühle im Innern der Kapelle tut
ihm gut und ist der krasse Gegensatz zu der brütenden Hitze draußen. Es ist dämmrig
und nur durch ein buntes, kleines Fischblasenfenster hinter dem Altar dringen
diffus Sonnenstrahlen auf den Boden. Pedro sieht die Staubkörner im Lichtstrahl
tanzen. Die kleine Kapelle ist menschenleer und er kniet sich mit weichen Beinen
in der vordersten Bank nieder. Obwohl der Tod seines Vaters Giuseppe schon über
drei Jahre zurückliegt, vermisst Pedro seinen Papa, als hätte er ihn gerade
erst verloren. Für Pedro ist sein verstorbener Vater jetzt ein Schutzengel, der
ihm wie früher zuhört und ihn behütet.
„Papa, hilf mir den morgigen Tag zu
überstehen! Alleine schaffe ich das nicht. Die Aufnahmeprüfung an der
Baukunstschule ist schwierig. – Stell dir vor, unser Prior Signore Parini
ermöglicht es mir, dabei zu sein. Ich darf mit meiner besten Freundin Carla, es
ist seine Tochter, den Wettbewerb an der Baukunstschule antreten. Die Contrada
des Panthers bezahlt die Gebühr für mich. Ich gehöre zu den wenigen, die dieses
Jahr dabei sind. Schaffe ich es, lerne ich Maurer - einen Beruf – einen
richtigen Beruf. Verstehst du? Das wünsche ich mir schon lange. Es ist eine
Chance, wenn auch nur eine sehr kleine.“
Siena, 01. Juli 1925
Z weiter Teil
Schon in der Morgendämmerung erkennt Pedro,
dass es wieder ein sehr sommerlicher Tag werden wird. Er sieht es am Licht der
Sonnenstrahlen, welche
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