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Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Titel: Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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Charlie?«
    »Nicht
Canetti, Ferdi, nicht schon wieder Canetti, das hatten wir doch schon, das ist
doch …«
    »Die Sache
wird zerfallen«, unterbrach er mich. »Zerfallen, wie sie gewachsen ist,
genauso schnell und genauso planlos, irgendwann werden wir uns umdrehen und es
ist keiner mehr da! Sicher, die Leute werden noch nach Technotracks tanzen, in
den Gummistiefeldiscos, auf die Gummistiefelweise, und wir werden weiter Geld
verdienen, jedenfalls als DJs, Leute wie Raimund und Schöpfi sowieso,
vielleicht auch die Hosti Bros, weil sie einen Namen haben und weil sie
weltweit unterwegs sein werden und die Leute werden die Musik noch als
Mainstream-Hintergrundgeräusch wahrnehmen und sie werden sich auch noch ein
paar neue Stars basteln, die dann auch noch ganz
ordentlich Platten verkaufen, aber dann ist das so normal wie heute Schlager
oder Rockmusik, dann ist das große Ding vorbei, dann ist die Luft raus, dann
ist das alles Museum, dann sind wir alle Dinosaurier, so Monsters of Rock,
dann sind wir die Oldie-Freaks, die Dinge haben ihre Zeit, Charlie, und
irgendwann ist die Zeit vorbei.«
    »Ja gut,
Ferdi«, sagte ich. »das hast du schon öfter gesagt, und ich höre es immer
wieder gerne, aber was soll’s? Dann ist die Zeit vorbei, okay, dann war’s das
eben!«
    »Ja, aber was war es dann? Das ist doch die Frage, Charlie: Was? Ich meine …«,
Ferdi wischte sich die Augen aus, langsam und gründlich, »scheiß Rauch«, sagte
er, »und müde bin ich auch, aber mal ehrlich, Charlie: Was? Ich meine, ich
liebe das! Ich liebe diese Musik und ich liebe diesen Lebensstil und ich liebe
es, wenn man doof und schlau und lustig zugleich ist und alle nur Scheiße bauen
und trotzdem alles richtig machen und ich liebe die Hosti Bros mit ihrem
Trancegebretter und ihrer Naivität und Sigi mit ihrem knatterigen
Partyparty-Auflegen, das BummBumm-Label, den Charts-Trash und das Geld und die
ganze Unbedarftheit, ich meine, guck dir doch mal Anja und Dubi an, meinst du
etwa, ich könnte eine Flöte nicht von einem Saxofon unterscheiden? Raimund
vielleicht nicht, aber ich kann das! Aber als Hit mit der Flöte ist das viel
lustiger, weil es falsch ist und keiner das merkt! Wir machen alles so, als ob
wir es zum ersten Mal machen, es ist immer wieder neu und es ist immer wieder
das Gleiche und immer auch nicht das Gleiche und wenn wir Der Hit mit der Flöte
sagen, dann ist das richtig und gut und lustig, weil wir keine Ahnung haben und
andererseits eben doch, weil wir auf die Musikschule scheißen und auf den
ganzen anderen Scheiß auch, aber andererseits wissen wir natürlich Bescheid,
ich meine, die Sechziger,
meinst du ernsthaft, das ging wirklich um Politik? Ich meine, Ho Chi Minh,
meinst du ernsthaft, irgendeiner von den ganzen Ho-Chi-Minh-Rufern hatte Bock
darauf, in Nordvietnam ins Arbeitslager zu kommen? Ich jedenfalls nicht. Wir
waren einerseits doof und andererseits nicht, verstehst du? So wie die Beatles
mit ihrem Guru und dem ganzen Kram. Das ist das, was die Sachen sexy macht,
dass man zugleich jung ist und doof und trotzdem schlauer als alle anderen. Und
heute sagen dieselben Leute immer, es wäre ihnen damals nur um Politik und die
Verbesserung der Welt gegangen, aber das ist doch lächerlich, das ist ja nicht
mal die Hälfte der Wahrheit, Sommer der Liebe, lange Haare, Rockmusik, Kiffen,
freier Sex, Nacktbaden, das gehörte alles dazu, die Sache hatte immer eine
ernste und eine unernste Seite, verstehst du? Ich meine, die Leute schüttelten
den Kopf über uns und hassten uns und erklärten uns für blöd und wir schüttelten
den Kopf über sie und hassten sie und erklärten sie für blöd und heute …« Er
zog an seinem Joint und hielt ihn mir hin. »Jetzt habe ich den Faden verloren!
«
    »Nein
danke«, sagte ich. »Und jetzt tu mir mal einen Gefallen, Ferdi, und vergiss den
Scheiß mit den Sechzigern, das wird langsam öde, dass du immer wieder damit
anfängst. Das bringt doch nichts, wenn du jetzt hier Magical Mystery machst,
bloß weil du irgendwas reparieren willst, was in den Sechzigern deiner Meinung
nach schiefgelaufen ist.«
    »Quatsch«,
sagte Ferdi, »ich doch nicht! Ich versuche doch nur, an die Zukunft zu denken.
Ich will nicht, dass das irgendwann aufhört und dann bleibt nichts übrig, außer
dass die sagen, das wäre so, was weiß ich, Hedonismus oder so ein Scheiß
gewesen und das ist so sicher wie das
Amen in der Kirche, dass das irgendwann aufhört, weil demnächst kommt dann der
neue heiße Scheiß

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