Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
noch kein Wort gesagt, kein aufmunterndes
und kein ermahnendes, kein scherzendes und kein drohendes Wort, er starrte nur
vor sich hin und kaute mit leeren Augen an einem mit Corned Beef belegten Brot
herum, genau wie Astrid, bei der das aber keinen wunderte, denn Astrid war
Ex-Junkie, nicht aber Werner, Werner war Sozialpädagoge und erfolgreicher
Unternehmer im, wie Gudrun es nannte, Sozialscheißbereich, da konnte man sich
schon mal Sorgen machen, wenn so einer mit leeren Augen auf einer
Corned-Beef-Stulle herummümmelte wie ein Tattergreis auf Valium.
»Was soll
schon los sein?« Werner schaute in die Runde, auf mich, auf Klaus-Dieter, auf
Astrid und schließlich auf Henning, den Uralt-Süffel, der auf die siebzig
zuging und gar nichts aß, wahrscheinlich hatte er sein Gebiss nicht drin. Dann
wanderte sein Blick zurück und blieb an mir hängen. »Du isst ja gar nichts,
Karl Schmidt!«
»Du kannst
das Pferd auf die Weide führen, Werner, aber du kannst es nicht zum Fressen
zwingen«, sagte ich.
»Soso«,
sagte Werner. »Warst du schon wieder im Romantica?«
»Kommst ‘n
darauf?« Ich nahm mir ein Salamibrot. Astrid machte immer Brote, wenn sie mit
dem Abendessen dran war, und sie tat immer saure Gürkchen drauf, obwohl Werner
dagegen war, »Solche Sperenzchen machen bloß abhängig«, sagte er dann, und
keiner wusste, ob das ein Scherz oder doch irgendwie Teil einer Rückfallpräventionsstrategie
war.
»Ich doch
nicht«, sagte ich und wurde rot dabei, das war damals noch so, ich war ja noch
nicht lange runter von den Pillen und dementsprechend labil, aber Werner bohrte
nicht weiter nach, er war nicht er selbst, er nahm einen Schluck Hagebuttentee
und klappte seine Stulle auf, um zu gucken, was drin war, Corned Beef und ein
kleines, längs halbiertes Gürkchen, er nahm das Gürkchen in die Hand, hielt es
hoch und steckte es kommentarlos in den Mund.
»Ich bin
demnächst mal für eine Weile weg«, sagte er. »Ich muss mal raus. Ich brauch
Supervision.«
»Ab wann?«,
sagte Astrid.
»Ab nächste
Woche«, sagte Werner.
»Für wie
lange?«
»Drei
Wochen.«
»Drei
Wochen Supervision?«
»Quatsch.
Ich hab auch mal Urlaub, Astrid Hagenauer, falls du schon mal was davon
gehört hast, ich hab auch mal Urlaub, auch Leute wie ich kriegen
mal Urlaub, falls das neu für dich ist.«
»Nein, ich
weiß«, sagte Astrid. Ironie perlte an ihr ab wie Wasser an der Ente, sie hatte
keinen Sinn dafür, so wie andere Leute nicht singen oder nicht Schach spielen
können. »Aber du hattest Supervision gesagt und nicht Urlaub, da hab ich mich
gewundert.«
»Wir
kriegen nie Urlaub«, sagte Klaus-Dieter.
»Wieso
kriegst du keinen Urlaub? Du hast doch neulich erst Urlaub gehabt!«, sagte
Werner.
»Ja, von
der Arbeit«, sagte Klaus-Dieter. »Aber nicht von Clean Cut.«
»Und wie
soll so ein Urlaub von Clean Cut bei dir aussehen, Klaus-Dieter Hammer? Mit
einem Beutel voll Klebstoff und der Tasche voll Hasch im Stadtpark eine Flasche
Rotwein verhaften, oder was? Oder eine Butterfahrt nach Helgoland mit
zollfreiem Schnapseinkauf?« Werner war offensichtlich verrückt geworden: Er
ging auf Klaus-Dieter los!
»Nein, ich
meine mal so wegfahren, sagen wir mal nach Mallorca oder so.«
»Ballermann6
oder was? Am besten die ganze Mannschaft gleich Ballermann 6 oder was? Mit
Schlagerkaraoke und Sangria aus Eimern oder wie?«
Klaus-Dieter
war kurz vorm Heulen, er plinkerte mit den Augenlidern und knetete mit beiden
Händen seine Ohrläppchen, deshalb versuchte ich Werner abzulenken, denn ein
Abend, an dem Klaus-Dieter zu heulen anfing, war kein Feierabend, wenn bei
Klaus-Dieter erstmal die Schleusen geöffnet waren, kam keiner vor Mitternacht
ins Bett.
»Ich war im
Romantica«, sagte ich. »Ich geb’s zu. Aber nur auf einen Espresso ohne Zucker!«
Werner
guckte mich an, aber nicht wie sonst, er war irgendwie desinteressiert.
»Espresso ohne Zucker? Im Romantica? Wie bist du denn drauf?!«
»Weiß
nicht«, sagte ich erleichtert, weil Klaus-Dieter mit dem Ohrläppchenkneten
aufgehört hatte und überhaupt jetzt, wo ich der Arsch war, wieder ganz
zufrieden aus der Wäsche schaute. »Hat sich so ergeben.«
»Wie oft
habe ich euch gesagt, dass … – ach leckt mich doch am Arsch, macht doch, was
ihr wollt.«
»Wieso das
denn jetzt?«, sagte Astrid. »Ich meine, das ist Clean Cut, da kann doch nicht
einer, der da arbeitet, sowas sagen, so mit was ihr wollt und so, einfach leckt
mich am Arsch, das geht doch nicht, wir können doch nicht
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