Magical Mystery
Sache, die sich nicht vergrößert, Charlie, die ist ja praktisch am Ende, das kannst du bei Canetti alles nachlesen, jedenfalls bei der offenen Masse, bei der offenen Masse ist das so, die wächst, weil sie wächst, und wenn sie nicht mehr wächst, zerfällt sie, und Rave ist eine offene Masse, das hat neulich Frido in Frankfurt auch gesagt, der hatte das auch gelesen, und die muss immer weiter wachsen, wie beim Pilotenspiel, jedenfalls ist das ein Versuchsballon, Charlie, wir bringen den Rave nach Schrankenhusen-Borstel, das ist ja als Überschrift schon genial, man könnte auch sagen: Wir reißen in Schrankenhusen-Borstel die Schranken ein, das ist doch voll der Hammer!«
»Da wohnen wir in dem Club, also die haben da auch so Zimmer«, sagte Dave.
»Und wenn wir Glück haben, taufen sie den Laden danach um, in Kratzbomber!«, sagte Ferdi.
»Also der Reihe nach«, sagte ich. »Wir fangen in Bremen an, wann fahren wir denn da los?«
»Ankunft zwanzig Uhr, also dann fahren wir wohl so um vierzehn Uhr los«, sagte Dave.
»Quatsch, das ist doch Quatsch«, sagte Ferdi, »nach Bremen brauchst du doch keine sechs Stunden, nach Bremen brauch ich höchstens vier Stunden, eher weniger.«
»Aber du fährst nicht«, sagte Dave. »Und ich auch nicht.«
»Fünfzehn Uhr reicht doch dicke!«, sagte Ferdi. »Zu früh ist auch schlechtes Timing, zu früh ist die peinlichste Form der Unpünktlichkeit!«
»Aber wir wollen doch sowieso erst einchecken …«
»Quatsch jetzt.« Ferdi wischte das mit einer Handbewegung weg, und zwar mit der, mit der er Dave seinen Joint reichte. »Hier, zieh erstmal, Dave, sonst halt ich dich nicht aus.«
Dave nahm den Joint und zog dran. Um uns herum kam Unruhe auf, die Leute erhoben sich von den Schreibtischen und versammelten sich weiter hinten um ein Faxgerät herum.
»Lass uns Schluss machen«, sagte Ferdi, »die Charts kommen. Du kannst das ja morgen früh noch ausdrucken, Dave. Wenn wir um drei Uhr nachmittags losfahren, dann kannst du ja morgen früh noch dran arbeiten.«
»Ich kann auch morgen Vormittag kommen«, sagte ich.
»Nicht nötig«, sagte Dave und sah dabei zu den anderen hinüber. »Ich mach das einfach fertig und dann übergebe ich dir das und gut ist. Dann geht mich das nichts mehr an!«
Ferdi stand auf. »Charlie kommt morgen Vormittag und schaut sich an, was du für ihn gemacht hast, Dave, so sieht’s aus. Jetzt aber die Charts gucken.«
20. Bing
Ferdi stand auf und zog mich mit, ich wäre lieber sitzengeblieben und hätte mir das von Weitem angeschaut, die vielen Leute machten mich nervös, ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal außerhalb der Hamburger S-Bahn mit so vielen Leuten in einem Raum gewesen war, aber Ferdi zog mich ohne Gnade mit und warf sich ins Gewühl, da riss ich mich dann von ihm los, das war nichts für mich, hier mitten unter die Leute zu gehen, die jetzt Sachen wie »Was ist mit TXF« oder »Sind wir noch drin« riefen, während ich am Rand des sinnlosen Geschehens oder jedenfalls sinnlos am Rand des Geschehens stand wie ein Voyeur, während Ferdi sich zum Zentrum des Geschehens durchkämpfte, und dann schien mir dieses Am-Rand-Stehen ein Vorgeschmack auf das zu sein, was mich bei der Magical-Mystery-Tour erwartete, nämlich dabei zu sein ohne drin zu sein, mitzuhelfen ohne mitzumachen, was mich jetzt wieder an Schlumheimer erinnerte, dabeisein ohne drinsein, das war der Titel der ersten Schlumheimer-Installation gewesen, die ich je gesehen hatte, das war Ende der Siebziger gewesen, in der »Zone« in Westberlin, damals hatte er seinen Installationskram noch wahllos irgendwo ausgestellt, Hauptsache es gab Platz dafür und er konnte einigermaßen sicher sein, dass das, was er sich installationsmäßig so zusammenschusterte, für ein paar Wochen unbehelligt herumstehen würde, das alte Quatschgenie, mit den Bildern hatte er damals schon verdient, aber die Installationen, die Schlumheimer für mich immer gottgleich und unerreichbar gemacht hatten, standen noch einfach irgendwo herum und so auch diese, dabeisein ohne drinsein, das war schon toll gewesen, ein richtiges Aha-Erlebnis, Schlumheimers Installationen waren, wenn man selber Kunst machen wollte, das Ermutigendste und Inspirierendste, was es gab, sie waren einfach da wie gerade gelandete Aliens, die sich erst noch ein bisschen von der Reise ausruhen mussten, und man sah sie an und dachte, wie einfach das ist und wie toll aber auch, wie banal und wie unerreichbar gut, und
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