Magie der Sehnsucht - Roman
verfluchte das gesamte griechische Pantheon.
»Leider kann ich nichts für ihn tun«, gestand Tiyana, bleich bis in die Lippen.
»Versuch es wenigstens«, drängte Selena.
Die hellen Augen voller Angst, schüttelte Tiyana den Kopf. »Darf ich dir einen Rat geben, Grace? Versperr die Tür und geh nicht mehr in dieses Zimmer, bis er dahin zurückkehrt, wo er hergekommen ist. Er befindet sich in der Gewalt einer starken bösen Macht. Die will ich nicht herausfordern.
« Sie wandte sich zu ihrer Schwester. »Spürst du sie nicht – diese unbesiegbare dämonische Kraft?«
»Oh Gott, Selena …« Mit wachsendem Entsetzen starrte Grace ihre Freundin an. Irgendetwas musste man doch unternehmen.
»Auch ich kann dir nicht helfen«, entgegnete Selena. »Meine Zaubertricks haben noch nie gewirkt.«
Nein, sie dürfen nicht einfach gehen.
Grace schaute Julian an, der sich gegen die Handschellen stemmte. »Gibt es jemanden, der helfen würde, wenn wir ihn rufen?«
»Nein«, flüsterte Tiyana. »Und ich bleibe nicht länger hier. Verzeih mir, aber das ist mir zu unheimlich.« Sie warf Selena einen kurzen Blick zu. »Und du kennst ja dieses gruselige Zeug, mit dem ich mich täglich befasse.«
»Tut mir ehrlich leid, Gracie«, entschuldigte sich Selena und streichelte den Arm ihrer Freundin. »Ich werde mal in ein paar Büchern blättern. Vielleicht finde ich Mittel und Wege, die dieser Höllenpein ein Ende setzen.«
Da sie keine Wahl hatte, begleitete Grace die beiden Schwestern hinaus, schloss die Haustür und lehnte sich erschöpft dagegen.
Was sollte sie tun?
Nein, sie würde nicht akzeptieren, dass es keine Hilfe für Julian gab. Irgendwie musste sie seine Schmerzen lindern. Bestand irgendeine Möglichkeit, an die sie noch nicht gedacht hatte?
Müde stieg sie die Treppe hinauf und betrat das Schlafzimmer.
»Grace?« Sein halb erstickter Ruf krampfte ihr das Herz zusammen.
»Hier bin ich, mein Schatz«, antwortete sie und berührte seine Stirn.
Da bäumte er sich schreiend auf, und sie wich erschrocken zurück.
Mit weichen Knien eilte sie in die kleine Bibliothek und holte ihre neue Ausgabe der »Odyssee«. Dann rückte sie ihren Schaukelstuhl neben das Bett und las ihm die alten Sagen vor. Nach einer Weile schien sie ihn zu beruhigen, und er warf sich nicht mehr so heftig umher.
Langsam verstrichen die Tage, und Graces Hoffnung schwand dahin. Julian behielt Recht. Solange er seinen Wahnsinn nicht besiegte, würde er dem Fluch nicht entrinnen. Allmählich ertrug sie es nicht mehr, ihn leiden zu sehen.
Kein Wunder, dass er seine Mutter hasste … Wie konnte Aphrodite ihn diesem Martyrium ausliefern? Warum tat sie nichts für ihn?
Schon seit Jahrhunderten musste er unsägliche Qualen erdulden.
Am Ende ihrer Weisheit, schrie sie die Zimmerdecke an. »Warum seid ihr so grausam? Eros, hören Sie mich? Athene? Irgendjemand? Warum helft ihr ihm nicht? Wenn ihr ihn nur ein kleines bisschen liebt, müsst ihr ihn endlich erlösen!«
Wie erwartet, antwortete niemand.
Den Kopf in die Hände gestützt, versuchte sie nachzudenken. Irgendetwas musste geschehen …
Plötzlich durchzuckte ein greller Blitz den Raum.
Grace blickte verwirrt auf und sah Aphrodite neben dem Bett stehen.
Das Gesicht wachsbleich, beobachtete die Göttin ihren Sohn, den schmerzliche Krämpfe erschütterten. Sie
streckte eine Hand nach ihm aus, zog sie abrupt zurück und ballte sie zur Faust. Erst jetzt wandte sie sich zu Grace. »Ich liebe ihn.«
»Und ich auch.«
Aphrodite senkte die Wimpern und schien einen inneren Kampf auszufechten. »Wenn ich ihn erlöse, nehmen Sie mir meinen Sohn weg. Für immer. Und wenn nicht, verlieren wir ihn beide …« Nun schaute sie in Graces Augen. »Ich habe über Ihre Worte nachgedacht, und Sie haben Recht. Dank meiner Macht ist er so stark geworden. Dafür hätte ich ihn nicht bestrafen dürfen. Aber ich wünschte mir einfach nur, er würde mich Mutter nennen. Oh Julian … Wenn du mich nur ein klein wenig geliebt hättest …«
Unsicher berührte sie seine Hand, und er zuckte zusammen, als hätte sie ihn verbrannt.
Da ließ sie ihn los. »Versprechen Sie mir, gut für ihn zu sorgen, Grace.«
»Das werde ich tun – solange er es gestattet.«
Schweigend nickte Aphrodite, legte ihre Hand auf Julians Stirn, und er stieß einen gellenden Schrei aus. Dann neigte sie sich hinab und hauchte einen Kuss auf seine Lippen. Sofort erschlaffte sein Körper.
Die Handschellen öffneten sich, und er lag immer noch
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