Magie der Sehnsucht - Roman
er sich von ihr trennen, nach allem, was sie zusammen durchgestanden, was sie geteilt hatten?
Ohne ihn wäre das Leben unerträglich. Niemals würde sie diesen Verlust verkraften.
Als die Sonne unterging, sah sie ihn in ihrem Schaukelstuhl auf der Veranda sitzen. Wollte er den sinkenden roten Feuerball ein letztes Mal betrachten? Beim Anblick seiner ernsten Miene erkannte sie den humorvollen Mann, den sie lieben gelernt hatte, kaum wieder.
Schließlich ertrug sie das Schweigen nicht länger. »Geh nicht fort. Bleib bei mir. In meiner Zeit. Ich werde für dich sorgen, genug Geld verdienen, und ich bringe dir alles bei, was du wissen musst.«
»Nein, es ist unmöglich. Verstehst du das nicht? Jeder, der mir nahestand, wurde von den Göttern bestraft – Iason, Penelope, Callista, Atolycus …« Mit verschleierten Augen starrte er sie an. »Oh, du großer Zeus, die Römer haben Kyrian sogar gekreuzigt.«
»Diesmal wird es anders sein.«
»Allerdings«, stimmte er zu und stand auf. »Völlig anders. Weil ich nicht hierbleiben und mit ansehen werde, wie du meinetwegen stirbst.«
Und dann ging er an ihr vorbei ins Haus.
Wütend ballte sie die Hände. »Verdammt, warum bist du so starrsinnig?«
Wie konnte er ihr das antun? Plötzlich spürte sie, wie der Ehering ihrer Mutter in ihre Handfläche schnitt. Sie öffnete die Faust und starrte den schmalen Reif an. Jetzt wurde sie nicht mehr von der Vergangenheit verfolgt. Zum ersten Mal seit langer Zeit gab es eine Zukunft, die Aussicht auf ein glückliches Leben.
Und das durfte Julian ihr nicht wegnehmen.
Entschlossen öffnete sie die Haustür, ein fast boshaftes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Oh nein, Julian von Makedonien, du wirst nicht davonlaufen. Vielleicht hast du Römer übertrumpft. Aber verglichen mit mir waren das harmlose Schlappschwänze.«
Das alte Buch auf den Knien, saß er im Wohnzimmer, strich über den altgriechischen Text und hasste ihn mehr denn je.
Die Lider gesenkt, erinnerte er sich an die Nacht, in der Grace ihn gerufen hatte. Wie es gewesen war, keine richtige Identität zu besitzen – einfach nur die Funktion eines anonymen Liebessklaven zu erfüllen …
Schon vor langer Zeit war er in qualvollem dunklem Nichts untergetaucht. Trotzdem hatte Grace ihn gefunden und dank ihrer inneren Kraft in einen Menschen zurückverwandelt. Sie allein hatte sein Herz gesehen und für wertvoll erachtet.
Bleib bei ihr, mahnte ein Flüstern in seiner Seele.
Oh Götter, wie einfach das klang! Doch er wagte es nicht. Seine Kinder hatte er bereits verloren. Der einzige Teil seines Herzens, der noch existierte, gehörte ihr. Sie zu
verlieren, nur weil sein Bruder von unersättlicher Rachsucht besessen war …
Nein, niemals. Das würde er nicht ertragen. Sogar für ihn hatte das Leid Grenzen. Und jetzt kannte er den Namen, der ihn in die Knie zwingen würde.
Grace.
Zu ihrem eigenen Wohl musste er sie verlassen. Als er ihre Schritte hörte, öffnete er die Augen und sah sie in der Tür stehen. Wütend schleuderte er das Buch auf den Couchtisch. »Könnte ich dieses Ding bloß vernichten!«
»Nach dieser Nacht ist das nicht mehr nötig.«
Ihre Worte raubten ihm den Atem. Das wollte sie für ihn tun? Benutzt zu werden – dieser Gefahr galt ihre schlimmste Angst. Und er würde sie benutzen, so wie er selbst so oft benutzt worden war. »Willst du mir deinen Körper schenken – nur damit ich gehen kann?«
»Wenn du dadurch deine Freiheit gewinnst – ja«, antwortete sie ohne Zögern, und ihr klarer, aufrichtiger Blick traf ihn mitten ins Herz.
Die nächste Frage blieb ihm beinahe in der Kehle stecken. Doch er musste sie stellen. »Wirst du weinen, wenn ich verschwunden bin?«
Obwohl sie wegschaute, las er die Wahrheit in ihren Augen. Du bist nicht besser als Paul. Genauso selbstsüchtig …
Aber er war der Sohn seines Vaters. Früher oder später kam das Erbe des Blutes stets zum Vorschein.
Nun wandte sie sich ab und ließ ihn mit seinen Gedanken allein. Langsam sah er sich im Wohnzimmer um, betrachtete den Teppich vor der Couch, und seine Brust verengte sich. Wie schmerzlich würde er jene Nächte vermissen, Graces Stimme, die ihm so viele Geschichten vorgelesen hatte, ihr Gelächter … Und ganz besonders ihre Liebkosungen.
So verlockend wäre es, hierzubleiben. Doch er wagte es nicht. Seine Kinder hatte er nicht retten können. Wie sollte er Grace beschützen?
»Julian?«
Verwirrt zuckte er zusammen, als ihr Ruf aus dem oberen Stockwerk
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