Magie der Sehnsucht - Roman
selbstsüchtiger Menschen. Niemals hätte er erwartet, eine solche Frau kennen zu lernen.
Von diesem Gedanken beunruhigt, musterte er die zahlreichen Passanten. Die bedrückende Hitze über dieser merkwürdigen Stadt schien ihnen nichts auszumachen. Ein paar Schritte entfernt stritt ein Ehepaar. Anscheinend ärgerte sich die Frau, weil ihr Mann irgendetwas vergessen hatte. Zwischen den beiden trabte ein drei- oder vierjähriger Junge. Als sie auf Julian zukamen, lächelte er sie an. Wann hatte er zum letzten Mal eine Familie gesehen? Daran erinnerte er sich nicht. Der Anblick bewegte
etwas in seinem Inneren, das er schon lange nicht mehr wahrgenommen hatte – sein Herz. Wussten die drei, wie glücklich sie sich schätzen mussten, weil sie einander hatten? Während die Eltern stritten, blieb der Junge stehen. Irgendetwas auf der anderen Straßenseite hatte seine Aufmerksamkeit erregt.
Bestürzt hielt Julian den Atem an, weil er instinktiv erriet, was der Junge vorhatte.
Grace schloss den Kofferraum. Aus den Augenwinkeln sah sie etwas Blaues zur Straße rasen, und es dauerte einige Sekunden, bis sie Julian erkannte. Verständnislos schüttelte sie den Kopf, bis sie den kleinen Jungen entdeckte, der in den fließenden Verkehr rannte.
»Oh, mein Gott!«, rief sie. Im selben Moment kreischten Bremsen.
»Steven!«, schrie eine Frau.
Mühelos schwang sich Julian über die niedrige Mauer des Parkplatzes, packte das Kind und presste es an seine Brust, sprang auf den Kotflügel des abgebremsten Wagens und landete auf der anderen Fahrspur, wo ein Auto heranraste.
In wachsendem Entsetzen beobachtete Grace, wie Julian gegen die Motorhaube eines alten Chevys prallte. Dann rutschte er zur Windschutzscheibe und wurde auf die Straße geschleudert, wo er davonrollte und schließlich reglos liegen blieb.
Ringsum brach ein Chaos aus, schreiende Leute versammelten sich um die Unfallstelle. Einer Panik nahe, drängte sich Grace durch das Getümmel, schickte ein stummes Gebet zum Himmel und hoffte inständig, die beiden wären noch am Leben. Schließlich erreichte sie Julian, der das Kind immer noch in den Armen hielt. Ihr Herz schlug wie rasend. Waren sie unversehrt?
»So etwas habe ich nie zuvor gesehen«, bemerkte ein Mann an ihrer Seite, und einige andere Zuschauer stimmten ihm zu.
Endlich begann sich Julian zu bewegen, und Grace eilte zu ihm.
»Alles in Ordnung?«, hörte sie ihn das Kind fragen, das mit gellendem Gebrüll antwortete.
Langsam und vorsichtig stand Julian auf, und Grace traute ihren Augen nicht. Wieso um alles in der Welt konnte er sich rühren?
Und wie war es ihm gelungen, das Kind während des ganzen schrecklichen Zwischenfalls festzuhalten?
Er taumelte einen Schritt nach hinten. Dann erlangte er sofort sein Gleichgewicht wieder, ohne seinen Griff um das Kind auch nur sekundenlang zu lockern.
Fürsorglich schlang Grace einen Arm um seine Taille, um ihn zu stützen. »Du solltest nicht stehen«, flüsterte sie, als sie das Blut an seinem linken Arm entdeckte.
Doch er schien ihre Stimme nicht zu hören. In seinen blauen Augen, die sich verdunkelt hatten, lag ein seltsamer Ausdruck. »Pst, Kleiner«, versuchte er den schreienden Jungen zu besänftigen und strich mit der freien Hand über sein Gesicht. Behutsam wiegte er ihn hin und her, wie es nur ein liebevoller Vater vermochte, und legte seine Wange auf den Scheitel des Kindes. »Alles ist gut, du bist in Sicherheit.«
In wachsender Verwirrung beobachtete sie ihn. Offenbar versuchte er nicht zum ersten Mal ein weinendes Kind zu beruhigen. Und wieso hatte sich ein griechischer Soldat mit Kindern befasst? Es sei denn, er war selbst ein Vater …
Ihre Gedanken überschlugen sich, während Julian den schluchzenden Jungen in die Arme der hysterischen Mutter legte, die noch lauter schrie als ihr Sohn.
Großer Gott, hatte er Kinder? Und wenn ja, was ist mit ihnen geschehen?
»Oh Steven!«, jammerte die Mutter und presste den Jungen an ihre Brust. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst bei mir bleiben?«
»Sind Sie okay?«, wandte sich der Vater an Julian.
Auch der Fahrer des Wagens, der so abrupt gebremst hatte, erkundigte sich nach Julians Befinden.
Julian schnitt eine Grimasse und betastete seinen linken Bizeps. »Ja«, antwortete er.
Aber Grace bemerkte, dass er sein linkes Bein, das gegen die Motorhaube des Chevys geprallt war, nicht belasten konnte. »Du brauchst einen Arzt.«
In diesem Moment gesellte sich Selena zu ihnen.
»Nein, es
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