Magie der Sehnsucht - Roman
öffnete den Mund. Behutsam legte er die Nudeln auf ihre Zunge. Als er die Gabel langsam herauszog, erlitt er Folterqualen. Wie rasend hämmerte sein Herz gegen die Rippen, und sein klarer Verstand forderte ihn auf, von ihr wegzurücken. Das konnte er nicht. Viel zu lange hatte er seine Gefangenschaft ohne Gefährtin erduldet – ohne Freundin … Sollte er jetzt auf diese Freuden verzichten? Unmöglich.
Und so fuhr er fort, Grace zu füttern.
In seine Arme geschmiegt, zog sie ihre Hände aus seinen und überließ es ihm, den nächsten Bissen in ihren Mund zu schieben. Dann griff sie nach einem Brötchen und fütterte ihn mit einem kleinen Stück. Dabei knabberte er an ihren Fingern.
Lächelnd berührte sie sein Kinn, während er kaute. Alle seine Bewegungen liebte sie, alle seine Aktivitäten, mochten sie auch noch so unbedeutend erscheinen.
Niemals würde sie müde werden, diesen Mann zu beobachten.
Während sie einen Schluck Wein nahm, stibitzte er ein paar von ihren Nudeln.
»He, das sind meine!«, neckte sie ihn.
Voller Belustigung funkelten seine blauen Augen, und er gab ihr wieder einen Bissen. Zur Belohnung hielt sie ihm ihr Weinglas an die Lippen. Unglücklicherweise zog sie den Kelch zu früh zurück, und ein paar Tropfen rannen über sein Kinn auf das T-Shirt hinab. »Tut mir leid!« Mit einer Fingerspitze wischte sie sein Kinn ab und
berührte seine Bartstoppeln. »Oh Gott, wie ungeschickt ich bin!«
Das schien ihn nicht zu stören. Genüsslich saugte er den Wein von ihren Fingerspitzen, und sie stöhnte leise. Köstliche Schauer durchrieselten ihren Körper, als seine Zunge über jeden einzelnen Finger glitt. Und dann biss er ganz vorsichtig in die Spitzen. Weil er ihren brennenden Wunsch erriet, suchte sein Mund ihre Lippen.
Das war keiner jener leidenschaftlichen, fordernden Küsse, an die sie sich gewöhnt hatte – die er benutzte, um sie zu verführen. Nein, es war ein sanfter Kuss, und seine weichen Lippen glichen Schmetterlingsflügeln.
Nach ein paar Sekunden richtete er sich auf. »Immer noch hungrig?«
»Ja«, wisperte sie – womit sie nicht die Spaghetti meinte, sondern seinen Körper.
Er fütterte sie wieder mit ein paar Nudeln. Als sie das nächste Mal den Wein an seinen Mund hielt, nahm er ihr vorsichtshalber das Glas aus der Hand und runzelte in gespielter Angst die Stirn.
Und so genossen sie ihr Dinner in vertrauter Zweisamkeit, bis zum Ende des Films. Plötzlich interessierte er sich für die Kampfszenen. »Was für faszinierende Waffen …«
»Klar, so etwas gefällt einem General.«
Bevor er wieder auf den Bildschirm schaute, warf er ihr einen kurzen Blick zu. »Und was interessiert dich?«
»Die Allegorien.«
»Ja, darin finde ich einige Gedanken von Platon.«
»Du kennst Platon?«, fragte sie überrascht.
»In meiner Jugend habe ich seine Schriften studiert.«
»Wirklich?«
»Während uns die Soldaten rumschubsten und verprügelten, haben sie uns auch einiges beigebracht.«
»Wie schnodderig du bist …«
»Nur ein bisschen.«
Nach dem Film half er ihr, die Teller und das Besteck in die Küche zu tragen.
Als sie alles in den Geschirrspüler räumte, läutete das Telefon. »Gleich bin ich wieder da!«, versprach sie, lief ins Wohnzimmer und nahm den Hörer ab.
»Sind Sie das, Grace?« Zu ihrer Bestürzung erkannte sie Rodney Carmichaels Stimme.
»Hallo, Mr Carmichael«, grüßte sie kühl. Am liebsten hätte sie Luannes Hals umgedreht. Warum musste die Frau ausgerechnet jetzt verreisen? Bisher hatte sie nur eine einzige Stunde mit Rodney absolviert, am letzten Mittwoch. Doch das hatte ihr genügt, um das Bedürfnis zu wecken, einen Detektiv auf die Kollegin anzusetzen, der sie aufspüren würde. Diesem unheimlichen Mann fühlte sie sich nicht gewachsen.
»Wo waren Sie heute, Grace? Sie sind doch nicht krank? Soll ich Ihnen ein Medikament bringen?«
»Hat Lisa Ihren Termin nicht verschoben?«
»Doch, aber ich dachte, wir könnten …«
»Hören Sie, Mr Carmichael, in meinem Haus empfange ich keine Patienten. Wir sehen uns bei Ihrem nächsten Termin. Okay?«
Wortlos beendete er das Telefonat.
»Grace?«
Erschrocken zuckte sie zusammen und schrie auf, als Julians Stimme hinter ihr erklang. Seine fassungslose Miene wäre komisch gewesen, hätten ihre Nerven nicht so heftig geflattert.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ja, tut mir leid«, seufzte sie und legte den Hörer auf die Gabel. »Es war der Patient, von dem ich dir erzählt
habe. Rodney
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