Magie und Schicksal - 2
stattdessen öffne, wenn ich versage.
Aber das spielt keine Rolle. Es ist die einzige Möglichkeit, und so lege ich die goldene Scheibe mit der Jormungand auf meine Haut. Meine Seele scheint sich zu weiten und förmlich zu seufzen, als das eingeritzte Symbol der Schlange sich an seinen Zwilling auf meinem Handgelenk schmiegt. Einen Augenblick kommt es mir so närrisch vor, dass ich all die Monate so hart dagegen angekämpft habe, wo ich doch so leicht in Frieden hätte leben können.
Mit einem Kopfschütteln vertreibe ich diese verräterischen Gedanken. Meine Hand fällt schlaff herab. Jemandes Finger umschließen meine, und als ich aufschaue und unter der Kapuze meines Gewandes hervorspähe, sehe ich Luisas elegante Nase und die vollen Lippen, eingerahmt von der Seide ihrer eigenen Kapuze.
Sie neigt sich mir zu und spricht so leise, dass wohl niemand außer mir sie verstehen kann. »Lia, … ich …« Sie lächelt ein kleines, trauriges Lächeln. »Du bist sehr tapfer. Ich weiß, dass du nicht wanken wirst, was immer auch geschieht. Weder in dieser, noch in der nächsten Welt. Ich hoffe, du nimmst mich im Herzen mit, wohin du auch gehst.«
»Danke, Luisa. Tu du das Gleiche für mich.« Ich bin dankbar für ihre Ehrlichkeit. Sie als Einzige hat die Möglichkeit anerkannt, dass ich an diesem Morgen sterben könnte, und irgendwie ist es eine Erleichterung, sich nicht länger verstellen zu müssen. Trotzdem kann ich ihr Lächeln nicht erwidern, denn mir schlägt das Herz bis zum Hals vor lauter Angst. Ich bin nicht tapfer. Ich zittere am ganzen Leib und muss an mich halten, um mich in den Sattel zu schwingen und auf Sargents Rücken zu fliehen.
In diesem Moment würde ich am liebsten weglaufen und mich vor der Leibwache, vor den Seelen und vor Samael verstecken, solange es eben geht.
Nur eine einzige Wahrheit hindert mich daran: Wenn ich so weiterleben würde, wäre dieses Leben nicht besser als ein langsames, schleichendes Sterben. Ich kann nirgends
hin. Kann mich nirgends verstecken. So lange das Tor offen steht, werden Samael und seine Seelen mich finden.
Luisa drückt meine Hand, und gemeinsam drehen wir uns zur Tür, die sich öffnet. Da steht Edmund, von hinten beleuchtet durch die lodernden Flammen.
Er nickt. »Es ist Zeit. Bis Sonnenaufgang ist es noch eine knappe halbe Stunde, und obwohl es mir gar nicht gefällt, Sie jetzt schon dem Risiko auszusetzen, wage ich nicht, noch länger zu zögern. Ansonsten laufen wir Gefahr, den richtigen Zeitpunkt zu verpassen.«
Ein Klumpen aus Angst steigt mir wie Galle die Kehle empor. Doch ich straffe die Schultern und trete durch die offene Tür ins Freie. Die anderen schließen sich mir an. Ich höre ihre Schritte auf den Steinen der schmalen Straße, die vom Haus wegführt. Dann gehen wir über das hohe Gras der Felder. Alles ist still, während wir Edmund zum Feuer folgen, das von einem kleineren Kreis aus Fackeln eingerahmt wird. Ich hebe den Kopf und schaue in den indigoblauen Himmel, entdecke einen kaum sichtbaren hellen Schimmer am Horizont. Dies ist die Uhr, nach der wir die Beschwörung ausrichten müssen. Sie entscheidet über meine Zukunft. Wie lange wird es noch dauern, bis sich die Sonne ihren Weg gebahnt hat und ihr Licht auf den Stein der Prophezeiung werfen wird?
Vor dem Feuer erkenne ich die Silhouette von Dimitris Gestalt – und die Kontur des Gewehrs in seiner Hand. Ich muss zugeben, dass ich erleichtert bin, obwohl ich ihn gebeten habe, sich nicht einzumischen, außer, um die Leibwache
von meinem irdischen Körper fernzuhalten, wenn ich mich in den Anderswelten befinde – denn dass ich dorthin gehen muss, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Ich kann mich nicht an zwei Orten gleichzeitig meiner Haut erwehren, und daher müssen die anderen für mich kämpfen, sollte hier eine Schlacht ausbrechen.
Meine Sinne sind geschärft wie nie zuvor. Das Licht der Flammen blendet mich, und das Gras unter meinen Füßen ist kühl. Es war eine gute Entscheidung, barfuß zu gehen. Ich fühle die Energie, die Avebury durchdringt, in jeder Faser meines Seins, und das Gefühl wird stärker, je näher ich den Steinkreisen komme. Es scheint mir richtig und sinnvoll zu sein, eine körperliche Verbindung zwischen mir und dem geweihten Boden herzustellen, auf dem ich stehe. Das Vibrieren, das ich in meinen Fußsohlen spüre, wirkt beruhigend auf meine Nerven. Alle Quellen, aus denen ich Kraft schöpfen kann, sind mir willkommen – auch der Schlangenstein
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