Magie und Schicksal - 2
in der Lage gewesen, das Wasser auszugießen. «
Brigid faltet eins von Gareths Hemden und schiebt es in seine Tasche. »Hätte der Eindringling nicht ein zweites Mal die Gestalt wechseln können, nachdem er ins Lager gekommen ist?«
Ich nicke. »Ich weiß, woran du denkst. Wenn einer der Seelen etwa als Falke ins Lager geflogen wäre, hätte er keine Spuren hinterlassen, und wenn er sich wieder in einen Menschen verwandelt hätte, hätte er das Wasser ausleeren können. Trotzdem … selbst wenn die Pferde und die Gepäckstücke sich am Rand des Lagers befunden haben, glaube ich doch, dass Dimitri und Gareth einen Fremden bemerkt hätten, selbst wenn er sich nur kurz dort aufgehalten hätte.« Ich zögere, den anderen Gedanken auszusprechen, der mir im Kopf herumspukt, aber Brigid spürt, dass ich etwas zurückhalte.
»Das ist nicht alles, stimmt’s?«
Ich verschnüre den Vorratspacken, den ich gerade eingewickelt habe, und schaue dann zu Brigid auf. Diese Sache betrifft uns alle. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum jemand so etwas tun würde. Warum macht sich jemand die Mühe, unsere Wasserschläuche zu leeren? Wir können uns jederzeit neues Wasser besorgen. Schließlich reiten wir ja nicht durch die Wüste. Es scheint ein so unüberlegter Versuch, unsere Reise zu verzögern. Fast … kindisch. Nutzlos. Findest du nicht auch?«
Brigid schaut zu Boden und grübelt über meine Worte nach. Die Stille zwischen uns bestätigt, was ich mir schon gedacht habe: Brigid weiß auf dieses Rätsel genauso wenig eine Antwort wie ich.
Wir haben keine Zeit, die Sache weiter zu besprechen, denn gleich darauf signalisiert mir Dimitri, dass die Zelte verstaut und die Pferde gesattelt sind. Brigid und ich erheben uns wortlos. Aber während des ganzen restlichen Tages wirkt sie nachdenklich, und ich weiß, dass ihr unser Gespräch nicht aus dem Kopf geht.
Und nicht nur ihr geht es so. Auch meine Gedanken drehen sich beständig um das, was sich letzte Nacht in unserem Lager abgespielt hat. Und obwohl ich nichts davon begreife, habe ich das ungute Gefühl, dass im Spiel der Prophezeiung ein wichtiger Zug gemacht wurde.
Und tief im Inneren weiß ich, dass dies erst der Anfang ist.
26
D er nächste Tag bringt keine ungewöhnlichen Ereignisse mit sich. Gareth und Dimitri reiten immer wieder ein Stück des Weges zurück und halten Ausschau nach Spuren etwaiger Verfolger, aber sie finden nichts. Die Sonne, endlich der schweren Wolkendecke ledig, schiebt sich durch die Zweige und das Laub der Bäume und bestäubt alles mit ihrem goldenen Licht und ihrer sanften Wärme. Das Land ist wunderschön und friedlich. Aber selbst diese Schönheit kann meine Laune nicht heben, kann das Gefühl, dass wir verfolgt werden, nicht vertreiben.
Ich kenne die Mächte des Bösen zu gut. Sie werden nicht aufgeben.
Gareth und Brigid reiten gemeinsam voraus, während Dimitri und ich ihnen folgen. Wir sprechen kaum miteinander, und ich überlege, ob James und ich jemals so viel Zeit in einträchtigem Schweigen miteinander verbracht haben. Überrascht merke ich, dass ich mich nicht mehr
erinnern kann, als ob alles, was geschehen ist, seit ich New York verlassen habe, meine Vergangenheit davor in einen dichten Nebel gehüllt hat. Ich kann Formen und Schemen erkennen, aber nicht die Einzelheiten.
Bis auf Henry, der mir so deutlich vor Augen steht, als ob ich ihn gestern zum letzten Mal gesehen hätte.
Ich schiebe sein Bild aus meinen Gedanken. Wie Henry, so ist auch James für mich verloren, wenn auch auf eine ganz andere Art. An ihn zu denken, bringt mich nicht weiter, auch wenn ich es immer noch nicht aufgegeben habe, ihn Alices Klauen zu entreißen. Meine Zeit mit James ist vorbei. Und sie wird nicht zurückkehren.
Und obwohl ich Dimitri von Herzen liebe, kann ich auch auf ihn keine Rücksicht nehmen. Meine Zukunft kann nicht ausschließlich von der Liebe bestimmt werden. Dafür steht zu viel auf dem Spiel.
Für mich. Für die Menschen auf Altus. Für die ganze Welt.
Im Schlaf kehre ich wieder in den Abgrund zurück. Die Hunde sind jetzt viel näher, die Seelen dicht auf ihren Fersen, und ich treibe mein Pferd durch die erstarrte Landschaft, während ich unter mir im Eis hier und da Gesichter erkenne, die zu entsetzlich verzerrten Grimassen gefroren sind. Meine eigenen Schreie wecken mich auf, und da sehe ich Dimitri über mir stehen und mich an der Schulter rütteln.
»Wach auf, Lia! Es ist nur ein Traum.« Seine Augen sind
schwarze
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