Magie und Schicksal - 2
ihrer Menschlichkeit. Ich hoffe einfach, dass ich einen solchen Moment abpassen kann, obwohl ich zugeben muss, dass die Wahrscheinlichkeit dafür sehr gering ist.«
Ich erwähne nicht, dass Alice und ich bereits über unsere gegensätzlichen Positionen gesprochen haben. Dass sie mich abgewiesen hat, mehr als einmal. Alice um Hilfe zu bitten, ist meine einzige Hoffnung, und das Eingeständnis, dass diese Hoffnung im Grunde genommen vergeblich ist, würde unser aller Entschlossenheit zermürben.
»Und was werden wir dann machen? Wenn Sie sich gegen uns stellt, meine ich.« Ich bewundere die Ruhe in Brigids Stimme. Obwohl sie noch kaum mit der Prophezeiung vertraut ist, weiß sie genau, was auf dem Spiel steht. Und doch bleibt sie ganz gelassen.
Ein Teil von mir würde ihr gern eine Illusion schenken, aber die Zeit für leere Versprechungen ist längst vorbei. Immer deutlicher merke ich, dass die Wahrheit alles ist, was uns bleibt. Und so antworte ich ihr wahrheitsgemäß.
»Ich weiß es nicht.«
Diesmal bin ich nicht in einem Wald, sondern in der eisigen, kahlen Landschaft des Abgrunds.
Ich träume, aber diese Gewissheit kann meinen Schrecken nicht dämpfen. Ich wage nicht, mich umzublicken, während ich mein Pferd vorwärtstreibe, aber ich weiß, dass
die Hunde mir dicht auf den Fersen sind. Ich höre ihr unheimliches, abscheuliches Heulen.
Und sie sind nicht allein.
Hinter ihnen kommen die Seelen herangejagt. Die Hufe ihrer Pferde prallen mit einem schrillen Klirren auf das Eis, das den Abgrund bedeckt. Ich zwinge mich, nach vorn zu schauen. Mich auf die Flucht zu konzentrieren. Wenn ich nach unten blicke, sehe ich all jene, die – immer noch halb lebendig – von Samael und den Seelen im Eis eingeschlossen wurden. Ich werde sie sehen – und mein eigenes Schicksal erkennen.
Dieser Traum nimmt kein Ende. Es gibt keinen sicheren Hafen. Keinen Ort, an dem ich Zuflucht finden könnte. Das Eis erstreckt sich in alle Richtungen, die monotone Gleichmäßigkeit nur durchbrochen von dem blendend blauen Himmel über mir. Unwillkürlich kommt es mir in den Sinn, wie wenig dieser herrliche blaue Himmel zu dem Abgrund passt. Aber genau das ist die Absicht. Wie grausam ist es, jene, die unter dem Eis gefangen sind, Tag für Tag in den strahlend blauen Himmel blicken und die goldene Sonne der Anderswelten betrachten zu lassen, in der Gewissheit, dass sie nie wieder ihre Wärme spüren werden.
Die Vergeblichkeit meiner Flucht schwächt meine Entschlusskraft, und mein Tempo verlangsamt sich, obwohl ich mein Pferd weiter antreibe. Aber es hat keinen Sinn. Die Hunde kommen näher. Ihr Japsen und Kläffen und Heulen klingt immer deutlicher, immer beängstigender. Die Seelen folgen ihnen auf dem Fuße.
Und die Wahrheit ist, dass ich so müde bin. Ich habe es satt, gegen den Willen der Seelen anzukämpfen. Ich bin es leid, mich dem Schicksal in den Weg zu stellen. Oder meiner Schwester. Vielleicht hat Alice doch recht. Vielleicht ist es klüger, mein eigenes Leben und das meiner Lieben zu retten.
Aber dann denke ich an Henry. Ich denke an seinen Tod, den er durch Alice erlitten hat, und ich weiß, dass die Seelen dafür verantwortlich sind. Sie waren es, die Alice mit ihren Einflüsterungen, ihren Verlockungen und Schmeicheleien dazu brachten, ihren Wünschen zu folgen. Sie waren es, die meine Schwester auf ihre Seite zogen, als sie noch ein kleines Mädchen war.
Der Gedanke erweckt meinen Zorn und ich beuge mich tiefer über den Hals meines Pferdes.
Traum oder nicht, eins ist sicher: Die Seelen werden mich nicht kriegen. Nicht in meiner Traumwelt. Nicht in der wirklichen Welt. Und auch nicht in den Anderswelten.
Wenn sie es doch schaffen, dann werde ich für immer im Eis des Abgrunds verschwinden.
In den Stunden, die auf meinen Albtraum folgen, weicht Dimitri nicht von meiner Seite. Ich will nicht, dass er seinen Posten vor dem Zelt verlässt, aber er versichert mir, dass Gareth in einer so friedlichen Nacht das Lager allein bewachen kann. Als das Licht des frühen Morgens durch die Zeltplane schimmert, schläft Dimitri ein. Ich bringe es nicht übers Herz, ihn zu wecken, und so lausche ich auf
seinen Atem und beschließe, ihn noch ein kleines bisschen länger schlafen zu lassen.
Aber das ist ihm nicht vergönnt. Einen Augenblick später werden wir von einem Schrei aufgeschreckt. Dimitri springt auf, als wäre er die ganze Zeit wach gewesen, und rennt nach draußen, während ich hastig meine Füße in die
Weitere Kostenlose Bücher