Magier des dunklen Pfades 1 - Die Suche (German Edition)
Ruck, hielt er ihre Essenz in den Händen, die ihre leuchtender und ungestümer als Niams.
Lorgyn begann zu zittern, seine Kräfte ließen ihn im Stich. Die Kugel war dabei, seinem Griff zu entgleiten. Das durfte nicht geschehen, auf keinen Fall! Alles wäre umsonst gewesen!
Eine lächerliche Entfernung trennte die Seele der Frau von Niams Körper. Hätte er Wasser in den Händen gehalten, hätte er sie einfach zu Niam geschwenkt und geöffnet. Aber er hielt eine Seele, und in Anbetracht seiner rapide schwindenden Magie erschien ihm die Distanz so groß, als trenne ein gewaltiges Urmeer zwei Kontinente.
Versuch es wenigstens!
Stück für Stück bewegte er seine Hände, konzentrierte sich und gab alles, was er geben konnte.
Es war nicht genug. Sosehr er sich anstrengte, er erkannte, dass er zu viel Energie verschleudert hatte. Das büßte er nun.
Die Seele zerfaserte wie sich entrollendes Garn, kleinste Gespinste, die niemand mehr einfangen und wieder verdichten konnte. Sie schwebten einfach davon – und lösten sich auf.
„Nein!“, keuchte Lorgyn entsetzt.
Im nächsten Moment lag er auf dem Rücken und schaute zur Decke. Ihm war schwummerig, und er benötigte drei Anläufe, um sich auf die Knie zu raffen. Er kroch zum Bett, krallte sich in den Stoff des Lakens, arbeitete sich daran hoch und schaute auf Niam und die Frau.
Beide tot.
Kein Atem, die Wangen bereits fahl und kalt.
Du hast sie getötet! wehte es durch seinen Kopf.
„Nein, ich wollte doch nur …“
Zwei unschuldige Menschen – wie kannst du dir anmaßen, über Leben und Tod zu richten?
„Aluna … ich muss sie retten.“
Und wie viele andere dafür töten?
„Nur die Alten und Schwachen!“
Wie schwach war die Frau denn? Welche tödliche Krankheit hatte sie?
„Sie hat ihn geliebt. Sie … sie wollte mit ihm sterben! Zumindest hätte sie nichts dagegen gehabt!“
Du hast einen Zauber gefunden, mit dem du die Gedanken anderer Menschen lesen kannst. Bravo, bravo!
Lorgyn vernahm den hämischen Applaus seines Gewissens, und gleichzeitig hörte er das Tönen einer dumpfen Glocke, tief aus seinem Innersten, und der Schlag dieser Glocke verkündete nur eines: Niederlage!
Er hatte versagt!
Kläglich!
Erbärmlich!
Angst stieg in ihm hoch, noch schlimmer als damals, als die Experimente an den Tieren fehlgeschlagen waren: Seinerzeit hatte er gespürt, dass viel mehr in ihm steckte, dass er lang nicht am Ende angelangt war.
Aber jetzt? War da noch viel mehr? Eher etwas . Würde das ausreichen?
Selbstüberschätzung ist der Stolperstein, über den man immer stolpern wird …
Nicht von Velodas, sondern von Bjarim.
„Ich habe mich überschätzt“, sagte Lorgyn tonlos und stand auf. Er horchte in sich – und stieß auf Leere. Nicht einmal das leiseste Schwingen von magischer Energie. Völlig verausgabt. Tage würde es dauern, bis seine arkane Kraft sich erholt hätte.
Aber für was?
Er konnte kaum atmen, fasste sich an den Hals, als die Erkenntnis in all ihrer Gewalt über ihn hereinbrach.
Es war vorbei. Er würde Aluna verlieren. Er war nicht gut genug.
Als durchlebe er einen Wachtraum, ging er zum Bett, faltete Niams Hände auf dem Bauch. Der Frau öffnete er unter einiger Mühe die zu Fäusten verkrampften Finger und legte ihr die Phiole in die rechte Hand. Es sah aus, als hätten sie den Tod freiwillig gewählt, als wären sie Seite an Seite entschlafen.
Du hast zwei Menschenleben ausgelöscht!
Lorgyn klappte das Buch zu, verstaute es im Beutel und stolperte zur Tür. Weg hier! Nur weg!
Er betrat den Korridor und schloss die Tür. Langsam stieg er die Treppe hinab. Lugte um die Ecke.
Die Frau war nicht da.
Alles auf eine Karte setzend, eilte er am Empfang vorbei und stieß die Eingangstüre auf. Hinter ihm fiel sie zu, und er taumelte hinaus in die Nacht, bis das Heulen des Eiswindes die grausamen Einflüsterungen seines Gewissens übertönte.
Ein Schritt vor den anderen, einfach zurück nach Hause.
Niemand kreuzte seinen Weg.
Als er den Friedhof erreichte, kämpfte er die Bilder nieder, die seine Fantasie ihm auf morbide Weise vorgaukelte: ein Sarg, darin Aluna, der langsam in einen schwarzen Schlund hinabglitt und dann vollends verschwand.
Mit einem Wimmern betrat er sein Haus und ließ die Tür ins Schloss fallen. Der Knall hatte etwas Beruhigendes. Irgendwann würde er vergessen, was in dieser Nacht vorgefallen war.
Nein, was er in dieser Nacht Gutes getan hatte! Ja, er hatte Niam erlöst. Genau. Erlöst von
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