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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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merken: Was für einen Russen gut ist, bedeutet für einen Deutschen den Tod.
    Apropos Tod.
    Aus Ihrer letzten Instruktion ist mir klar geworden, daß das Schicksal der armen »Liebhaber des Todes«, die sich am Rande des Abgrunds bewegen, Ihnen wenig Sorgen macht. Erheblich mehr Interesse bekunden Sie für eines der Klubmitglieder, das ich in den vorigen Berichten den Stotterer nannte. Ich habe das Gefühl, daß Sie über den Mann viel mehr wissen als ich. Was an ihm interessiert Sie so? Sie haben doch nicht etwa an die Existenz einer Geheimorganisation namens »Liebhaber des Lebens« geglaubt? Und wer ist die »hochgestellte Persönlichkeit«, auf deren persönliche Bitte Sie handeln? Welcher Ihrer Vorgesetzten interessiert sich für diesen Mann?
    Wie dem auch sei, ich habe Ihren seltsamen Auftrag ausgeführt, obwohl Sie es nicht für notwendig hielten, mir den Hintergrund zu erläutern. Ich habe den Stotterer ausgespäht, und wenn es mir nicht gelungen ist, seinen Wohnsitz zu ermitteln, ist das, wie Sie sehen werden, nicht meine Schuld.
    Nein, es ist doch eigentlich empörend! Warum setzen Sie nicht Ihre eigenen Schnüffler auf den Stotterer an? Sie |174| schreiben, er sei kein Verbrecher »im strengen Sinne des Wortes«, aber seit wann wäre das ein Hindernis für Sie und Ihresgleichen? Oder ist Ihre Unlust, festangestellte Agenten auf den Stotterer zu hetzen, damit zu erklären, daß er, wie Sie nebulös mitteilen, »viele Gönner an den unerwartetsten Stellen« hat? Womöglich gar in der Gendarmerieverwaltung? Fürchten Sie, daß einer Ihrer Kollegen den Stotterer über die Observierung informieren könnte? Aber wer ist denn dieser Mann, wenn selbst Sie solche Vorsicht walten lassen? Warum muß ich im dunkeln tappen? Ich verlange auf das entschiedenste eine Erklärung! Insbesondere nach dem ungeheuerlichen Vorfall, dessen Opfer ich durch Ihre Güte geworden bin.
    Nichtsdestoweniger erstatte ich Ihnen Bericht. Ob Sie daraus Nutzen ziehen können, weiß ich nicht. Eigener Kommentare enthalte ich mich, denn ich habe selbst wenig verstanden, ich lege nur die Fakten dar.
    Gestern wurde auf unserer Zusammenkunft wieder einmal das Todes-Roulette gedreht, und es endete wieder ergebnislos (es ist anzunehmen, daß Blagowolski einen stärkeren Magneten eingebaut hat). Wir haben zwei neue Mitglieder an Stelle der ausgeschiedenen Ophelia und der Löwin der Ekstase, zwei blutjunge Fräuleins. Nach dem Selbstmord der Loreley Rubinstein sind die Moskauer Mädchen geradezu übergeschnappt, und die Zahl derjenigen, die dem geheimnisvollen Klub der Selbstmörder beitreten möchten, wuchs gewaltig an, wofür der auf Todesgeschichten erpichten Presse zu danken ist. Die hartnäckigsten von diesen unbesonnenen Personen erreichen ihr Ziel. Heute hat Prospero uns Iphigenie und Gorgo vorgestellt. Die erste ist eine mollige Kursistin mit wuschligen goldblonden Haaren, sehr hübsch und sehr dumm. Sie trug ein Gedicht über einen Minderjährigen |175| vor, der sich ertränkt hat. Warum ein solches Schaf sich nach der Umarmung des Todes sehnt – ein Rätsel. Die zweite ist eine nervöse Brünette mit scharfen Gesichtszügen, die kühne und höchst unanständige Gedichte schreibt, obwohl sie bestimmt noch Jungfrau ist. Aber dem wird unser wollüstiger Doge bald abhelfen.
    Gdlewski hat neue Gedichte vorgetragen. Prospero hat recht – der Junge ist ein echtes Genie, eine Hoffnung der neuen russischen Poesie. Aber Sie interessieren sich ja wohl nicht für Poesie. Hier ist eigentlich etwas anderes bemerkenswert. Gdlewski ist in letzter Zeit in ständiger Erregung. Ich habe Ihnen schon geschrieben, daß er buchstäblich besessen ist von der Mystik rhythmischer Harmonien. In einem spiritistischen Traktat hat er gelesen, daß der Umgang mit der Jenseitigen Welt nur freitags möglich und dieser Wochentag daher ein besonderer sei. Jedes Ereignis, das sich an einem Freitag zuträgt, habe eine magische Bedeutung und sei eine Botschaft, ein Zeichen, das man nur entschlüsseln müsse. Und nun ist Gdlewski ständig am Entschlüsseln. Es fing damit an, daß er am vorigen Freitag erklärte, er errate aus Reimen die Zukunft. Er griff das erstbeste Buch vom Regal, stieß den Finger hinein und traf das Wort »Brot«. Er geriet in unbeschreibliche Aufregung, wiederholte immer wieder: »Brot – Tod, Brot – Tod«. Da heute auch Freitag war, nahm er, kaum daß er gegrüßt hatte, ein Buch vom Tisch, schlug es auf und – stellen Sie sich vor – stieß sofort

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