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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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eingenommen: sich auf dem Stuhl zurückgelehnt und die Hände harmlos vor dem Bauch gefaltet.
    »Wo ist der Hund?« fragte die Dame mit vom Schluchzen heiserer Stimme.
    »Sie haben uns noch nicht erzählt, was an jenem Abend v-vorgefallen ist«, erinnerte Gendsi streng, und die Frau blinzelte erschrocken.
    »Ich habe im Salon gesessen und den ›Hausarzt‹ gelesen, den hat Ljaletschka für mich abonniert. Sie war gerade von irgendwo nach Hause gekommen und in ihr Boudoir gegangen. Plötzlich kam sie hereingestürzt, ihre Augen glühten, ihre Wangen waren ganz rot. ›Tante Rosa!‹ Ich erschrak, dachte, es brennt, oder sie hat eine Maus gesehen. Ljaletschka aber schrie: ›Das letzte Zeichen, das dritte! Er liebt mich! Ja! Es gibt keinen Zweifel mehr. Ich muß zu ihm, zum |168| Zarewitsch! Mein Matwej braucht nicht länger zu warten!‹ Dann hat sie die Hand vor die Augen gehalten und leise gesagt: ›Jetzt ist Schluß mit der Qual. Ich habe lange genug die Närrin gespielt.‹ Ich hab nichts verstanden. Bei ihr wußte man ja nie, ob wirklich was passiert war oder ob sie phantasierte. ›Wer liebt dich?‹ hab ich gefragt. ›Ferdinand Karlowitsch, Sergej Poluektowitsch oder der Schnurrbärtige, der gestern den Blumenstrauß gebracht hat?‹ Sie hatte viele Verehrer, die konnte ich mir nicht alle merken. Nur machte sie sich aus keinem was, darum fand ich ihre Begeisterung merkwürdig. ›Vielleicht‹, hab ich gesagt, ›ist es ein anderer, ganz neuer?‹ Da hat Ljaletschka gelacht und so glücklich ausgesehen wie seit Jahren nicht mehr. ›Ja, ein anderer, Tante Rosa‹, hat sie gesagt. ›Ein ganz anderer. Der wichtigste und einzige … Ich geh schlafen. Komm bis morgen früh nicht zu mir rein, was auch geschieht.‹ Und sie ging. Am Morgen bin ich zu ihr, da hat sie im Bett gelegen, in einem weißen Kleid und selber auch ganz weiß …«
    Rosalia Maximowna brach wieder in Tränen aus, lief aber nicht mehr aus dem Zimmer.
    »Wie soll es jetzt weitergehen? Ljaletschka hat nicht an mich gedacht, hat mir nichts hinterlassen. Die Einrichtung kann ich nicht verkaufen …«
    »Zeigen Sie uns das Boudoir von Jelena Semjonowna«, sagte Gendsi und stand auf.
    Das Schlafzimmer der Loreley unterschied sich wesentlich von Ophelias schlichtem Zimmerchen. Da gab es mannshohe chinesische Vasen, bemalte japanische Paravents, einen luxuriösen Toilettentisch mit unzähligen Fläschchen, Döschen und Tuben vor einem dreiteiligen Spiegel und vieles andere mehr.
    Über der üppigen Lagerstatt hingen zwei Bilder. Das eine |169| war nicht weiter interessant, das Photo eines bärtigen Mannes mit Kneifer (offenbar des verblichenen Gatten Matwej Natanowitsch), das andere aber weckte Colombinas Aufmerksamkeit: Ein dunkelhäutiger schöner Mann in einem blutroten Gewand saß, die riesengroßen Augen halb geschlossenen, auf einem schwarzen Büffel; in den Händen hielt er einen Knüppel und eine Schlinge; zu Füßen des Büffels duckten sich zwei furchteinflößende vieräugige Hunde.
    Gendsi trat auch zu der Lithographie, doch er interessierte sich nicht für sie, sondern für drei tote schwarze Rosen, die oben auf dem Rahmen lagen, die eine noch fast frisch, die zweite verwelkt und die dritte völlig vertrocknet.
    »O Gott, wer ist denn das?« fragte Colombina, das Bild betrachtend.
    »Das ist der indische Todesgott Yama, der Herrscher über die Toten«, antwortete Gendsi zerstreut, während er den vergoldeten Rahmen betrachtete. »Die vieräugigen Hunde halten unter den Lebenden Ausschau nach Beute, und die Schlinge braucht Yama, um den Menschen die Seele herauszuziehen.«
    »›Komm, Todesprinz, komm zu mir in dem blutroten Gewande, reich mir die Hand und führe mich ans Licht‹«, zitierte Colombina aus Loreleys letztem Gedicht. »Den also hat sie gemeint.«
    Aber Gendsi würdigte ihren Scharfsinn nicht.
    »Was sind das für Rosen?« fragte er die Frau. »Von wem sind die?«
    »Das …«, sie blinzelte, »wer soll sich das alles merken? Ljaletschka hat doch von vielen Verehrern Blumen bekommen! Ach ja, jetzt weiß ich’s wieder! Sie hat am letzten Abend einen Strauß mitgebracht.«
    |170| »Sind Sie sicher?«
    Colombina fand, daß Gendsi mit der armen Alten zu grob umging. Diese zog den Kopf ein.
    »Ja, sie selbst hat die Blumen mitgebracht«, stammelte sie.
    Er wollte wohl noch etwas fragen, aber ein Blick auf seine Begleiterin zeigte ihm, daß sie sein Benehmen mißbilligte. Da erbarmte er sich der Unglücklichen und ließ sie in

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