Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
Hausmeister nicht. Ich sah ihn in den Hof gehen und folgte ihm vorsichtig. Um die Ecke lugend, sah ich ihn am Schloß der Hintertür hantieren und dann hineingehen. Das fand ich höchst interessant. Warum machte sich ein so seriöser Herr mit englischem Gehrock und Zylinder mitten in der Nacht an Hintertüren zu schaffen?
    Ich stellte fest, daß die Tür ein primitives Schloß hatte, das sich mühelos mit einer Krawattennadel öffnen ließ, was der Stotterer wohl auch getan hatte. Zwischen Vorsicht und Wagemut schwankend, entschied ich mich für das letztere. Um keinen Lärm zu machen, zog ich die Stiefel aus, ließ sie draußen stehen und schlüpfte ins Haus.
    An den Schritten hörte ich, daß er hinaufstieg bis in den vierten Stock. Was er dort tat, weiß ich nicht, ihm nachzusteigen traute ich mich nicht. Etwas knarrte oben leise, dann war es völlig still. Nach einer Viertelstunde Warten beschloß ich, daß es genug sei. Ich ging hinaus, und stellen Sie sich vor: Meine Stiefel waren weg! Oh, diese Moskauer! Es war mitten in der Nacht, kein Mensch auf dem Hof, und trotzdem hatte ein Halunke es gewagt. Und wie geschickt! Ich war nur fünf Schritte von ihm entfernt gewesen und hatte nichts gemerkt! |179| Versetzen Sie sich in meine Lage. Es war kalt, es hatte geregnet, und ich stand in Strümpfen da! Mich packte die Wut. Ich wollte zu meiner Kutsche laufen und nach Hause fahren. Aber dann dachte ich: Schau mal nach oben, ob im vierten Stock irgendwo Licht brennt.
    Nein, ich sah kein Licht, aber in einem Fenster neben dem Treppenhaus huschte ein weißer Fleck hin und her. Ich blickte genauer hin, und richtig: Jemand leuchtete mit einer elektrischen Taschenlampe. Wer konnte das sein, wenn nicht das Objekt?
    Hoffentlich wissen Sie meinen Einsatz für die Sache zu würdigen. Frierend, mit nassen Füßen, war ich entschlossen, den Auftrag zu Ende zu führen.
    Der Stotterer kam neun Minuten später wieder heraus, und die Observierung wurde fortgesetzt. Jetzt waren die Straßen völlig leer, so daß jedes Räderrattern und Hufeklappern weithin zu hören war, darum mußte ich zurückbleiben und hätte ihn zweimal fast verloren. Ich hoffte nur auf eines – daß der Stotterer endlich genug hätte und sich zur Nachtruhe auf den Heimweg machte, dann könnte ich auch nach Hause fahren, ein heißes Fußbad nehmen und Tee mit Himbeeren trinken. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich mich leicht erkälte und jedesmal einen quälenden Husten bekomme. Für Sie aber nehme ich selbst das in Kauf!
    Hinter der Jausa begannen die Vorstädte, und ich wunderte mich sehr, daß der Stotterer sich einen so wenig repräsentativen Wohnsitz ausgesucht hatte. Ich war mir sicher, daß er am Ziel angekommen war, als ich ihn den Kutscher wegschicken sah. Den meinigen hieß ich warten, obwohl er klagte, das Pferd sei müde und er müsse Tee trinken. Für die Wartezeit mußte ich ihm einen halben Rubel zusätzlich geben – umsonst, wie sich bald herausstellte. Beiläufig erwähnt, |180| die Kosten für die Ausführung Ihres Auftrags belaufen sich für den heutigen Tag auf einen ansehnlichen Betrag: drei Rubel fünfzig Kopeken. Ich teile das nicht aus merkantilen Gründen mit, sondern damit Sie sehen, wie teuer mich mein Altruismus zu stehen kommt – in jeder Beziehung.
    Ich versteckte mich hinter einem Brunnen im Schatten eines ausladenden Baumes. Der Stotterer war vom Mond hell beschienen, darum konnte ich sein Tun völlig gefahrlos beobachten, nicht gerechnet natürlich die Gefahr für meine Gesundheit durch die eiskalten Füße.
    Das Haus, zu dem sich das Objekt begab, war durch nichts bemerkenswert: ein Blockhaus mit vier dunklen Fenstern, umgeben von einem Bretterzaun mit einer Pforte. Diesmal versuchte der Stotterer nicht, ins Innere zu gelangen. Er trat zum zweiten Fenster von links und nahm irgendwelche unbegreiflichen Manipulationen vor. Zuerst schien mir, daß er mit der Hand ein Rechteck längs des Rahmens zeichnete. Doch dann drang ein sachtes Knirschen an mein Ohr, und ich erriet, daß er mit einem Gerät übers Glas kratzte. Danach holte er einen für mich unsichtbaren Gegenstand aus der Tasche, ein schmatzender Laut, und die Scheibe löste sich, im Mondschein aufblitzend, aus dem Rahmen. Jetzt begriff ich, daß der Stotterer das Glas mit einem Diamanten herausgeschnitten hatte. Wozu – keine Ahnung. Er zog den Gehrock aus, wickelte seine sonderbare Beute vorsichtig darin ein und machte sich auf den Rückweg. Jetzt war klar, warum er

Weitere Kostenlose Bücher