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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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der Echtheit der Zeichen zweifle ich nicht. Mich peinigt etwas anderes: Bin ich bereit? Tut es mir nicht leid, aus dem Licht ins Dunkel zu gehen?
    Das Fazit ist immer das gleiche. Vielleicht tut es mir leid, aber ich werde nicht zögern. In den Abgrund stürzen, in die dunkle Umarmung des unbekannten, ersehnten Geliebten.
    Jetzt ist ja völlig klar, eindeutig nachgewiesen, daß es keinen Tod gibt, jedenfalls nicht den Tod, den ich mir früher vorgestellt habe: Nichtsein, finstere Nacht, das Nichts. Es gibt nur Ihn, den TOD. Sein Reich ist ein zauberhaftes Land, groß, mächtig und wunderschön, dort erwarten mich solche Seligkeit und solche Einsichten, daß ich schon im voraus ein süßes Ziehen im Herzen verspüre. Wenn gewöhnliche Menschen in dieses märchenhafte Land eingehen, heulend und plärrend vor Entsetzen, sind sie von tödlicher Krankheit oder von Hinfälligkeit gezeichnet, und ihre physischen und geistigen Kräfte sind erloschen. Ich hingegen werde die Gemächer des TODES nicht als jämmerliche Gnadenbrotempfängerin betreten, sondern als Auserwählte, als langersehnter Gast!
    |228| Angst ist hinderlich. Aber was ist Angst? Spitze Krallen, mit denen sich das dumme, klägliche, verräterische Fleisch ans Leben klammert, um dem Schicksal einen Aufschub abzubetteln – ein Jahr, eine Woche, wenigstens eine Minute.
    Nun ja, ich habe Angst. Große Angst. Besonders vor den Schmerzen im letzten Augenblick. Aber noch mehr vor den Bildern, die mir das feige Hirn ausmalt: eine ausgehobene Grube, feuchte Erdklumpen, die auf den Sargdeckel schlagen, Leichenwürmer in den Augenhöhlen. Und noch etwas aus der Kindheit, aus der ›Furchtbaren Rache‹ 5 : ›Er spürt es, wie unten im Erdenschoß ein Leichnam wächst, wie er in furchtbarer Qual an den eigenen Knochen frißt und wie die Erde erbebt …‹
    Unsinn, Unsinn, Unsinn.«
     
    »Es wird Zeit für mich«
     
    Sie stritten hitzig, überschrien einander.
    »Pulcinella kannte den geheimen Ort der Zusammenkünfte!« rief der Prosektor Horatio. »Höchstwahrscheinlich hat Cyrano seinem Redaktionsleiter die Adresse gegeben! Es sollte mich nicht wundern, wenn die Zeitungsschreiberlinge unser Haus von den Nachbarfenstern aus beobachten. Gut möglich, daß wir nach einer Sitzung hinausgehen, und vor uns flammen Magnesiumblitze auf! Wir müssen unsere Treffen vorübergehend einstellen.«
    »Blödsinn, Quatsch!« erwiderte Rosenkranz heftig. »Sie sind ein kleinmütiger Mensch! Man muß dem Schicksal vertrauen! Was kommt, das kommt!«
    »Cyrano hat bestimmt dichtgehalten«, unterstützte Kriton |229| den jungen Mann. »Warum sollte er das Huhn schlachten, das ihm goldene Eier legt?«
    Und die einfältige Iphigenie sprach aus, was die anderen insgeheim dachten: »Herrschaften, bleiben wir lieber zusammen! Sie sehen doch, Er spielt nach eigenen Regeln. Wen Er will, den holt er sich. Es ist so gruslig, allein zu Hause zu sitzen, wo man mit niemandem reden kann, hier dagegen ist man unter seinesgleichen …«
    Die »Liebhaber« tauschten Blicke, eine Pause trat ein. Wir ähneln Übeltätern oder Verurteilten, die auf die Hinrichtung warten, dachte Colombina.
    »Wo ist denn Prospero?« fragte Petja kläglich und blickte zur Tür. »Was meint er?«
    Gendsi hatte sich in eine Ecke gesetzt und rauchte eine Zigarre. Kaltblütig stieß er bläulichen Rauch aus und beteiligte sich nicht am Gespräch. Auch Caliban schwieg und hörte den Streitenden mit herablassendem Lächeln zu.
    Der Buchhalter benahm sich neuerdings überhaupt geheimnisvoll. Wie weggeblasen war sein ungeduldiger Eifer, mit dem er sonst der spiritistischen Seance oder dem »Todesrad« entgegengefiebert hatte.
    Er meldete sich erst zu Wort, als der Doge, gehüllt in eine schwarze Richterrobe, im Salon erschien. Sogleich trat der eifrigste Paladin des Todes in die Mitte des Zimmers und rief:
    »Genug Unfug gefaselt! Hören Sie mich an! Ich bin auserwählt! Ich habe auch eine Botschaft erhalten!« Er schwenkte einen Zettel. »Hier, Sie können sich überzeugen. Ich habe nichts zu verbergen. Das ist eine Tatsache und kein Phantasiegebilde.«
    Der letzte Satz, begleitet von einem verächtlichen Blick, war an Colombina gerichtet.
    Alle scharten sich um Caliban. Das kleine rechteckige |230| Papier ging von Hand zu Hand, darauf stand in Druckbuchstaben: »Geprüft, für gut befunden, berufen« .
    »Ja, ja, geprüft!« erklärte Caliban aufgeregt. »Auf Geduld und Treue. Jetzt weiß ich, warum die Ewige Braut mich so lange

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