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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Kolumne auf Seite eins. Um die sechzig Zeilen. Nein, besser neunzig … Ich versichere Ihnen: Es wird eine Bombe. Warten Sie, ich komme sofort.« Seine Stimme vibrierte vor Spannung.
    So ist das also mit Cyrano, ein schöner »Anwärter«! Unsere Schlauköpfe haben sich den Kopf zerbrochen, woher der Reporter des »Kurier« seine Informationen über das Innenleben des Klubs bekam. Schlau, der Zeitungsmann! Obwohl er längst wußte, wo die künftigen Selbstmörder sich trafen und wer sie führte, gaukelte er dem Publikum etwas vor und tat, als ob er unablässig suchte, dabei machte er sich einen Namen und verdiente wohl auch nicht schlecht. Wer hat Lawr Shemailo noch vor einem Monat gekannt? Jetzt ist er ein Star.
    Der Reporter sprang so geschwind zurück in den Korridor, |222| daß ich mich grade noch an die Wand drücken konnte. Ohne mich zu bemerken, eilte er zum Ausgang. Die Tür zum Kabinett blieb weit offen. Und da geschah etwas Seltsames! Die gegenüberliegende Tür, die ins Eßzimmer führte und angelehnt war, schloß sich plötzlich knarrend von selbst! Ich schwöre Ihnen, das habe ich mir nicht ausgedacht. Zugluft gab es nicht. Dieses unheilvolle Knarren fuhr mir in die Glieder. Mir zitterten die Knie, das Herz hämmerte, so daß ich zwei Cordinium-Tabletten nehmen mußte. Als ich mich wieder in der Gewalt hatte und auch hinauslief, war der Journalist verschwunden.
    Es wäre auch nicht sinnvoll gewesen, ihm zu folgen, war doch ohnehin klar, daß er in die Redaktion eilte.
    Was für eine »Bombe« mag er für seine Leser vorbereitet haben?
    Aus der morgigen Ausgabe des »Moskauer Kurier« werden wir es erfahren.
    Mit der Versicherung meiner vollkommenen Hochachtung
    Ihr ZZ
    17. September 1900

|223| FÜNFTES KAPITEL
    1.
Aus Zeitungen
    LAWR SHEMAILO TOT
    Der Kämpfer gegen die Selbstmorde wurde selbst zum Selbstmörder
     
    Die Moskauer Pressewelt ist erschüttert von dieser traurigen Nachricht.
    Unsere Zunft hat eine ihrer brillantesten Berichterstatter verloren. Erloschen ist der helle Stern, der erst vor kurzem am Zeitungshimmel erstrahlte.
    Die Polizei ermittelt, verfolgt alle möglichen Varianten, einschließlich der Version eines Ritualmords, den die »Liebhaber des Todes« an dem wagemutigen Journalisten verübt haben könnten, doch für jeden, der die brillanten Reportagen und die profunden analytischen Artikel Shemailos im »Moskauer Kurier« gelesen hat, ist das Bild des Geschehens klar. Die Mitglieder des Geheimklubs töten sich selbst, nicht andere. Nein, es war kein Mord, sondern eine erschütternde Tragödie. Unser Kollege hatte eine sehr schwere Last geschultert, die vielleicht die Kräfte eines jeden Sterblichen übersteigen würde, und er ist unter dieser Last zusammengebrochen. Nun hat er sich jener »Mehrheit« zugesellt, über die er in seinem aufsehenerregenden, prophetischen Artikel »Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden …« schrieb.
    Wir kannten Lawr Shemailo als unermüdlichen Streiter gegen die schreckliche Erscheinung, die von vielen schon als »Pest des zwanzigsten |224| Jahrhunderts« bezeichnet wird – die Epidemie grundloser Selbstmorde, welche die Reihen der gebildeten Jugend niedermäht. Er war ein wahrer Kreuzritter, der diesem unersättlichen, blutrünstigen Drachen den Fehdehandschuh hinwarf. Es ist noch gar nicht so lange her, daß der bescheidene Reporter aus Kowno, der in der Provinz Berühmtheit erlangt hatte, nach Moskau kam, um die alte Residenzstadt zu erobern. Hier mußte er in der Journalistenhierarchie wieder ganz unten anfangen – mit Lokalberichten, der Schilderung von Bränden und unbedeutenden Ereignissen. Aber Talent setzt sich durch, und schon sehr bald las ganz Moskau mit angehaltenem Atem, wie der unerschrockene Journalist die Spur der unseligen »Liebhaber des Todes« verfolgte. In den letzten Wochen ließ er sich kaum noch in der Redaktion blicken. Die Kollegen sagten uns, daß er nahezu konspirativ handelte und seine Reportagen mit der städtischen Post schickte – wahrscheinlich fürchtete er, von den »Liebhabern des Todes« enttarnt zu werden oder den Herren Polizisten aufzufallen. So sehr ging er in seinem Beruf auf!
    Ein Arzt, der Epidemiekranke behandelt, riskiert, selbst angesteckt zu werden. Aber hier paßt wohl eher ein anderer Vergleich – mit jenen Heroen der Wissenschaft, die sich absichtlich und bewußt den Bazillus einer tödlich gefährlichen Krankheit injizieren, um deren Mechanismus besser zu erforschen und damit andere

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