Magierdämmerung 01. Für die Krone - Perplies, B: Magierdämmerung 01 Krone
Reisende jedweder Art – vom geschäftigen Handelsreisenden mit seinem Musterkoffer über die aufgeregte Mutter mit den zwei kleinen Kindern an der Hand bis hin zu der gut betuchten Bürgerin, der uniformierte Bahnbedienstete schwere Schrankkoffer hinterhertrugen – strömten ins Innere des Bahnhofs.
»Hier werden wir uns von diesem Folterinstrument für unsere Hinterteile trennen«, verkündete Giles, während er einige Fuhrunternehmer ansteuerte, die etwas seitlich des Haupteingangs Waren verluden.
»Sollten wir mit dem Verkauf der Kutsche nicht lieber warten?«, fragte Kendra. »Wer weiß, ob unser Zug diesmal wirklich fährt.«
Ihr Großvater schnaubte. »Wir sind nicht mehr in Bridge of Orchy, mein Kind. Wenn dieser Zug ausfällt, fährt ein anderer. Und falls nicht, nehmen wir ein Schiff nach Liverpool und reisen von dort aus weiter. Oder wir kaufen uns eine neue Kutsche mit bequemeren Polstern und einem jüngeren Pferd. Es gibt immer eine Möglichkeit.«
Es bedurfte einiger Überredungskunst, aber schließlich gelang es ihnen, Kutsche und Pferd für ein Drittel des Preises, den sie vor nicht einmal einem Tag in dem kleinen Dorf in den Highlands bezahlt hatten, an einen korpulenten Gemüsehändler zu verkaufen. Kendra hängte sich ihre prall gefüllte Tasche um, ihr Großvater nahm seinen Koffer, und so folgten sie dem Strom der Reisenden ins Innere des Bahnhofs.
Zu ihrem Erstaunen musste Kendra feststellen, dass der Zentralbahnhof in Wirklichkeit aus zwei Bahnhöfen bestand. Durch den unteren zogen sich von Osten nach Westen verlaufende Schienenstränge, auf denen eine Art Stadtbahn zu verkehren schien. Darüber lag ein imposanter neungleisiger Kopfbahnhof, der direkt in eine breite Eisenbahnbrücke überging, die den keine fünfzig Schritt weiter südlich fließenden Fluss Clyde überspannte.
Im Inneren des Gebäudes herrschte ein noch größeres Durcheinander als auf den Straßen davor. Obwohl sich die aus weiten Stahlbögen und rußigen Glasfenstern bestehende Hallendecke schwindelerregend hoch über ihren Köpfen befand, überkam Kendra ein ungewohntes Gefühl der Beklemmung, als sie sich hinter ihrem Großvater an Gruppen herumstehender Menschen vorbeidrückte und hastig zu ihren Zügen eilenden Reisenden auswich. Ein Mann in einem grauen Anzug rempelte sie an und stieß sie beinahe zu Boden. »Verzeihung!«, rief er, seinen Hut lüftend, über die Schulter zurück. »Mein Zug fährt gleich ab!«
Während sie noch überlegte, ob sie dem Rüpel ein rüdes Schimpfwort hinterherschicken sollte, berührte ihr Großvater sie am Arm. »Du musst aufpassen«, sagte er leise. »Auch auf deine Sachen. Es gibt flinke Diebe, die sich das unübersichtliche Treiben an Orten wie diesem zunutze zu machen wissen. Warte, lass mich dir helfen!« Sein Blick verschwamm, und mit seinen Händen vollführte er knotende Bewegungen neben ihrer Umhängetasche. Das leicht befremdliche Ziehen, das Kendra dabei verspürte, zeugte davon, dass er Magie wirkte. Nachdem er wieder aus der Wahrsicht zurückgekehrt war, zwinkerte er ihr zu. »Das sollte es jedem Langfinger erschweren, dich zu bestehlen.«
»Du hast die Fäden der Tasche mit den meinen verbunden?«, fragte Kendra leise.
Giles nickte, und in seinen Augen blitzte es anerkennend. »Sehr gut«, sagte er. »Das hast du richtig erkannt.«
»Du musst mir beibringen, wie man das alles macht«, drängte sie.
Ihr Großvater schmunzelte. »Das werde ich. Sobald du den Wechsel in die Wahrsicht gemeistert hast, ohne dabei irgendwelche Rituale durchführen zu müssen.«
Beharrlich kämpften sie sich bis zu den Schaltern durch, wo sie zu ihrer Erleichterung erfuhren, dass der Expresszug von Glasgow nach London planmäßig um zwölf Uhr von Gleis sieben abfahren würde. Giles kaufte ihnen Fahrkarten für ein Einzelabteil, und weil sie anschließend noch eine gute Stunde Zeit hatten, nahmen sie außerhalb des Bahnhofs noch eine frühe Mittagsmahlzeit zu sich. Kendra war sehr dankbar dafür, denn ihr Magen knurrte schon wieder vernehmlich, und das, obwohl sie vor ihrer Abreise aus der Herberge von Rowardennan ausgiebig gefrühstückt hatten. Aber natürlich lag das Stunden zurück, und sie hatten bereits eine anstrengende Kutschfahrt hinter sich.
Gegen Viertel vor zwölf begaben sie sich zurück in den Bahnhof. Der Expresszug stand schon auf Gleis sieben bereit. Ein schwarzes Ungetüm von einer Dampflok mit dem Schriftzug der Caledonian Railway auf dem Kessel blies träge
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