Magierdämmerung 01. Für die Krone - Perplies, B: Magierdämmerung 01 Krone
bemalte Backsteinrückwand befanden. Er ging hindurch und drum herum, dann schloss er die Tür schulterzuckend wieder. Kaum war dies allerdings geschehen, gab es dahinter einen lauten Knall, und Qualm stieg zur Decke hoch. Wieder öffnete sich die Tür, und ein Mann um die fünfzig in einem langen schwarzen Frack erschien, mit einem Zylinder auf dem Kopf und einem verwegenen Bärtchen im Gesicht, das ihm das Aussehen eines Gentlemanschurken verlieh. »Verzeihung. Ich hoffe, ich komme nicht zu spät zur Vorstellung«, verkündete er. In seinen Augen blitzte es schelmisch, und seine Mundwinkel zogen sich leicht nach oben.
»Da ist er ja: der Magister Hieronymus Brazenwood!«, rief der Theaterbesitzer begeistert. Unter dem Lachen und dem Applaus der Zuschauer lüftete der Zauberkünstler seinen Hut und verbeugte sich.
»Köstlich!«, dröhnte Onkel Thomas lautstark. »Wunderbar!«
Richard fand den Auftritt etwas übertrieben. Andererseits, so ermahnte er sich, war er auch nicht hier, um sich zu amüsieren, sondern um genau zu beobachten und um ein paar besonders knifflige Rätsel zu lösen. Trotzdem nickte er pflichtschuldig, denn er bezweifelte, dass sein Onkel seine tatsächlichen Absichten verstanden hätte.
Gleich darauf fing die Vorstellung an. Zunächst führte der Magister ein paar einfache Tricks vor, Taschenspielereien, die Richard als eine Kombination aus weiten Ärmeln und flinken Fingern zu erkennen glaubte. So ließ der Zauberkünstler Rosen scheinbar aus der Luft auftauchen, die er dann den Damen im Publikum zuwarf, und den Sixpence, den er sich bei einem Zuschauer lieh und anschließend verschwinden ließ, zog er einem anderen hinter dem Ohr wieder hervor.
Anschließend holte er ein halbes Dutzend großer silberner Ringe herbei, die er durch Aufeinanderschlagen als solide und undurchdringlich präsentierte. Und doch gelang es ihm mit theatralischen Gesten, die Ringe so ineinander zu verflechten, dass sich am Ende eine Kette daraus ergab. Während des gesamten nachfolgenden Kartentricks grübelte Richard über das Geheimnis der Ringe, bis er schließlich zu dem Schluss kam, dass eine Art verborgenes Federscharnier des Rätsels Lösung sein musste.
Als er seine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen auf der Bühne zuwandte, trug ein schmächtiger grauhaariger Gehilfe des Zauberkünstlers gerade einen hüfthohen runden Holztisch auf die Bühne, der auf einer verzierten Säule mit vier Löwenpfoten nachempfundenen Füßen stand. Aus einem Zylinder zauberte Brazenwood einen kleinen gelben Vogel herbei.
Doppelter Boden , dachte Richard und lächelte müde.
Der Zauberer setzte den Vogel in einen goldenen Käfig und stellte ihn in die Mitte des runden Tischs. Danach zog er umständlich ein unmöglich großes rot-gold gemustertes Seidentuch aus der Brusttasche seines Fracks und bedeckte damit den Käfig. Mit ausholenden Armbewegungen murmelte er einige Beschwörungen, dann schlug er unvermittelt das Tuch flach auf den Tisch und zog es zur Seite. Die Tischplatte war leer.
»Bravo!«, rief Onkel Thomas, lachte und klatschte.
Richard kniff die Augen zusammen. Wie hatte der Trickser das gemacht? Es konnte keinen Hohlraum unter dem Tisch geben, in den ein ganzer Käfig gepasst hätte, denn der Tisch stand nur auf einem Bein. Und eine Spiegelkonstruktion wäre ihm bestimmt aufgefallen, als das Möbelstück auf die Bühne gebracht worden war. Allerdings … Die Tischplatte wirkte relativ dick, wie diese Tische, in die noch eine Besteckschublade eingelassen war. War es möglich, dass sich der Käfig zusammendrücken und so in der Tischplatte verbergen ließ? Aber was mochte dann mit dem Vogel geschehen sein?
Der Magister beantwortete diese Frage, indem er das Tier einmal mehr aus seinem Hut zauberte und unter dem Beifall des Publikums in einen zweiten Käfig setzte. Doch Richard war sich sicher, dass dieser Vogel ein Doppelgänger sein musste, denn der Zauberkünstler hatte seinen ersten Schützling unmöglich aus dem Käfig befreien und in den Hut bugsieren können, bevor er die erste Hälfte des Tricks beendet hatte. Das wiederum bedeutete, dass sich der erste Vogel immer noch in dem Käfig befand. Und angesichts der Kraft, mit welcher der alte Mann auf den Tisch geschlagen hatte … Plötzlich wurde Richard übel. Er senkte den Kopf und versuchte verzweifelt, das Bild eines zerquetschten winzigen Vogelleibes aus seinem Geist zu verbannen. Hätte ich doch einfach nur gestaunt und geklatscht wie Onkel Thomas und
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