Magierdämmerung 01. Für die Krone - Perplies, B: Magierdämmerung 01 Krone
Wochen ist es so weit. Dann wird zur Feier des 50. Thronjubiläums Sr. Majestät Kaiser Franz Josephs I. im Prater das Riesenrad feierlich eingeweiht. Das von den englischen Ingenieuren Walter B. Basset und Harry Hitchins geplante und in diesen Tagen durch Hubert Cecil Booth errichtete Rad wird mit seinen dreißig Gondeln und zweihundert Fuß Gesamtdurchmesser das größte der ganzen Welt sein.«
– Wiener Zeitung, 18. April 1897
19. April 1897, 00:01 Uhr GMT
England, London, unweit der Marktgebäude am Smithfield
Jonathan fühlte sich, als tauche er vom Grund eines tiefen Sees auf. Zuerst war da nur ein dumpfes Schlagen, ein Hallen, das jede Faser seines Körpers in Schwingung versetzte und das sich schier endlos fortzusetzen schien. Dann verspürte er plötzlich Kälte, Feuchtigkeit und einen unangenehmen Schmerz, der in all seinen Gliedern pochte. Etwas Hartes bohrte sich in seinen Rücken, und er hatte den Eindruck, als befände er sich in einer unnatürlichen Lage, kopfüber und irgendwie verdreht. Er versuchte, seinem Körper den Befehl zu geben, sich zu bewegen, aber es gelang ihm nicht.
Ein neues Geräusch löste das erste ab. Dunkel, drängend, nicht so machtvoll, aber zwingender. … ache … ie … au … Jonathan spürte, dass sich sein Oberkörper bewegte, allerdings geschah dies ohne sein Zutun, und einen Augenblick lang fragte er sich, wo um alles in der Welt er sich gerade befand.
… wache … ie … auf …
Langsam und seltsam mühevoll öffnete er die Augen.
Im ersten Moment sah er gar nichts, nur verschwommene Felder aus wenig Helligkeit und viel Dunkelheit. Jonathan glaubte, einen hünenhaften Schatten vor sich auszumachen, der drohend über ihm aufragte – eine schwarze Masse, die seltsamerweise von einer helleren Aura umgeben war. Straßenlaterne … , zuckte es durch seinen Geist, doch das Wort löste keine Bilder in Jonathans Kopf aus, es blieb merkwürdig zusammenhanglos.
Der Schatten hatte einen Arm ausgestreckt und schien ihn zu berühren. Jetzt bemerkte Jonathan auch den Druck auf seiner rechten Schulter. Endlich ergab die seltsame Bewegung seines Oberkörpers einen Sinn. Ein Mensch – ein Mann vermutlich – hatte ihn mit kräftiger Hand gepackt und schüttelte ihn sanft, aber hartnäckig.
… Wachen Sie auf …
»Lassen Sie mich! Ich bin wach«, wollte Jonathan sagen, aber es kamen nicht mehr als ein paar unartikulierte Laute über seine Lippen. Er versuchte, sich aufzurichten. Dabei sackte die Welt unter seinem Körper weg, und gleichzeitig verrutschten alle Konturen, die sein sich klärender Blick ausgemacht hatte. Ein Übelkeit erregendes Doppelbild entstand vor seinen Augen. Risse brachen auf, und glitzernde Flecken tanzten vor seinen Augen, so als habe er zu lange in eine helle Lichtquelle geblickt. Jonathan rollte sich zur Seite, sein Magen verkrampfte sich, und er erbrach die Reste seines Abendessens auf den steinernen Untergrund, auf dem er lag.
Über sich hörte er einen gedämpften Fluch.
Der Mann – Jonathan war sich mittlerweile sicher, dass es sich um einen Mann handelte, denn ein Geruch von Tabak und feuchtem Leder ging von ihm aus – trat an ihm vorbei und wurde dabei etwas kleiner. Treppe … , erkannte Jonathan. Er war im Dunkeln über irgendein Hindernis gestolpert und dabei gestürzt. Es musste eine Treppe gewesen sein, die nach unten zu dem Kellerraum eines Hauses führte. Noch einmal versuchte er, sich zu orientieren, doch wieder wurde die Welt aus den Angeln gehoben, und ihn schwindelte. Gehirnerschütterung , dachte Jonathan. Gott im Himmel, was ist nur …?
Im nächsten Augenblick keuchte er halb erschrocken, halb schmerzerfüllt auf, als sich kräftige Arme unter seine Achseln schoben und ihn hochzogen.
»Ganz ruhig, mein Herr«, vernahm er eine heisere Männerstimme, in der ein schwacher Cockney-Akzent mitschwang. »Ich will Ihnen nur helfen.«
Die Bemühungen des Fremden machten Jonathans Lage jedoch nur schlimmer. Kaum hatte der Mann, der einen langen, speckigen Kutschermantel zu tragen schien, ihn in die Senkrechte gebracht, brach die Welt einmal mehr auseinander. Ein Zittern ergriff das Kopfsteinpflaster zu Jonathans Füßen sowie die Häuserfassaden zur Linken und zur Rechten, als habe jemand eine Handvoll Steine in den großen Teich der Wirklichkeit geworfen, dessen Oberfläche nun von zahllosen sich überlappenden und brechenden Wellen durchzogen wurde. An den Bruchpunkten bildeten sich erneut vielfach verästelte Risse, durch die
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