Magierdämmerung 01. Für die Krone - Perplies, B: Magierdämmerung 01 Krone
der Magie auf ihrer Haut zu spüren.
Mit fast schon religiösem Ernst begann sie mit dem Ritual, das eine Mischung aus den Anleitungen des Buches ihrer Mutter und ihren eigenen Erfahrungen darstellte. Als Erstes holte sie die Utensilien aus der Tasche hervor, die sie brauchte, um ihre Magie zu wirken. Auf eine mit den alchemistischen Symbolen der vier Elemente Luft, Feuer, Wasser und Erde bestickte kleine Decke stellte sie eine flache Messingschale, in die sie Räucherwerk füllte. Dazu gesellten sich eine rote Kerze, ein Kelch, den sie mit dem klaren Wasser des Bergsees füllte, eine Holzscheibe mit einem eingeritzten Pentakel und ein Quarzkristall. Anschließend zog sie vier kurze, dicke Kerzen hervor, die ebenfalls mit Runen verziert waren, und stellte sie auf vier Steine, die im Abstand von zwei Schritten um den Mittelblock angeordnet waren. Die Luftkerze platzierte sie auf dem Stein, der gen Osten wies, die Feuerkerze auf dem südlichen, die Wasserkerze kam auf den Stein im Westen und die Erdkerze auf den im Norden. Eine fünfte Kerze, auf der das Symbol für das heilige Element Geist prangte, stellte sie auf den Steinaltar in der Mitte.
In dem Buch ihrer Mutter hatte Kendra gelesen, dass es mitunter notwendig sei, einen Raum rituell zu reinigen, um die Ströme der Magie, die angeregt werden sollten, nicht durch ein übles Umfeld zu beeinflussen. In Kendras Augen galt das allerdings nur in den Häusern der Menschen. Mit Sicherheit wäre Onkel Callums Haus ein solcher Ort gewesen, der zuvor der Reinigung bedurft hätte. Ihr geheimer Platz im Wald dagegen konnte gar nicht vom Bösen befallen werden, da war sie sich sicher. Der Wald selbst schützte ihn davor.
Daher ging sie gleich dazu über, den Kreis zu ziehen, in dessen Mitte sie ihre Magie zu wirken gedachte. Leise eine gälische Beschwörung murmelnd, die sie dem Buch entnommen hatte, schritt sie, der Sonne folgend, von Osten ausgehend und im Uhrzeigersinn, kreisförmig die vier Kerzen ab. Das kühle Gras strich über ihre bloßen Füße, während sie sich mehrmals niederbeugte, um einen der blank polierten Steine, die sie von einem kleinen Haufen neben dem Altar genommen hatte und in einer Mulde ihres gerafften Nachthemds trug, auf die Erde zu legen. Zwölf Steine legte sie aus, jeweils drei zwischen zwei Kerzen.
Danach entnahm sie dem Beutel ein Kästchen mit langen Zündhölzern, riss eines an und entzündete zuerst die vier Elementarkerzen und dann die fünfte auf dem Altar. »Ich grüße die fünf Elemente«, sagte sie auf Gälisch, das noch immer ihre Muttersprache war, auch wenn das Englische mittlerweile bis ins letzte Dorf in den Highlands vorgedrungen war. »Luft, Feuer, Wasser, Erde und Geist. Helft mir, die Kraft zu beschwören, die in mir ruht!«
Mit einem zweiten Zündholz steckte sie das Räucherwerk und die rote Kerze auf dem Altar an. Dann hob sie beschwörend die Hände und wiederholte den Gruß gegenüber den Gegenständen, die sie fein säuberlich auf dem Steinquader angeordnet hatte.
Der letzte Akt von Kendras Vorbereitung schien nicht zu den übrigen rituellen Verrichtungen zu passen, und genau genommen gab es in dem Buch ihrer Mutter auch nirgendwo eine Passage, die etwas Derartiges vorgeschrieben hätte. Aber Kendra hatte festgestellt, dass es ihr leichter fiel, sich den Strömen der Magie zu öffnen, wenn sie ihren Geist zuvor ein wenig beruhigt hatte. Aus diesem Grund war der letzte Gegenstand, den sie zum Vorschein brachte, eine kleine, dunkelgrüne, verkorkte Flasche ohne Etikett, in die sie etwas Laudanum aus Onkel Callums Hausapotheke abgefüllt hatte. Die normale Dosis für Patienten an der Schwelle zum Erwachsenenalter lag, wie sie wusste, bei fünfundzwanzig Tropfen. Sie nahm dreißig. Dann kniete sie sich vor den Altar, schloss die Augen und ließ ihren Geist treiben.
»Ich bin umgeben von Magie. Ich bin erfüllt von Magie. Ich bin eins mit der Magie«, intonierte sie leise, während sie die Arme ausbreitete und ihre Finger, Fühlern gleich, tastend in die kühle Nachtluft streckte. »Ich bin umgeben von Magie. Ich bin erfüllt von Magie. Ich bin eins mit der Magie.«
Das harzig riechende Räucherwerk stieg ihr in die Nase, die feinen Grashalme strichen über ihre nackten Beine, die leichte, salzige Brise umschmeichelte ihren Leib wie ein geisterhafter Liebhaber.
»Ich bin umgeben von Magie …«
Die Berührung der Grashalme erzeugte ein leichtes Kitzeln in ihren Unterschenkeln, und ein Schauer rann durch ihren
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