Magierdämmerung 01. Für die Krone - Perplies, B: Magierdämmerung 01 Krone
niemandem besucht außer von Kendra, die diesen Ort als ihr ganz eigenes Refugium betrachtete.
Vor zwei Jahren war sie während der Frühlingsmonate oft mit Cameron McKenzie hierhergekommen, dem einzigen Jungen des Dorfes, der imstande gewesen war, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Ebenso unbeholfen wie unbeirrbar hatten sie unter den Bäumen am Seeufer die Liebe für sich entdeckt. Als der Sommer kam, war Cameron dann nach Edinburgh gegangen, um dort ein Leben zu beginnen, das in seinen Augen besser sein würde als das, was ihnen hier am Loch Leven beschieden war. In einer tränenreichen letzten Nacht – wobei die Tränen vor allem über Kendras gerötete Wangen geflossen waren – hatte er ihr versprochen, sie zu sich zu holen, sobald er genug Geld beisammen hatte, um für sie beide sorgen zu können. Sie hatte nie wieder von ihm gehört.
In ihrer Enttäuschung, und auch weil es mit Onkel Callum in jenen Wochen häufig Streit gegeben hatte, war Kendra zu ihrem Großvater gegangen und hatte ihn gebeten, bei ihm bleiben zu dürfen. Für gewöhnlich sah sie Giles höchstens einmal im Monat, wenn er ins Haus des Arztes kam, um Medikamente abzuholen. Es waren immer höchst seltsame Momente, denn auch wenn der Einsiedler seine Enkelin auf seine ganz eigene Art zu lieben schien, hatte es gleichzeitig den Anschein, als wolle er sie von sich und seinem Leben fernhalten. So war auch ihr damaliger Aufenthalt letztlich nur von kurzer Dauer gewesen. Schon nach einer Woche hatte ihr Großvater sie gedrängt, zurück ins Dorf zu gehen und ihn in Ruhe zu lassen. Wütend hatte sie ihm den Gefallen getan.
Zuvor war sie jedoch auf eine kleine Kiste mit Habseligkeiten ihrer Eltern gestoßen, in der neben einigen Briefen und Erinnerungsstücken aus ihrem abgebrannten Elternhaus auch ein in Leder gebundenes Buch gelegen hatte, dessen Einband seltsame Symbole zierten. Mit Kendras Fähigkeit zu lesen war es zu jenem Zeitpunkt noch nicht weit her gewesen, denn Schulbildung gehörte, genau wie damenhaftes Verhalten, ebenfalls zu den Dingen, um die sie sich nie sonderlich bemüht hatte. Doch die Illustrationen von Kräutern und Steinen und seltsamen Zeichen – und damit war nicht der handschriftliche Text gemeint – weckten ihre Neugierde so sehr, dass sie das Buch heimlich mitgenommen hatte, als sie nach A’Charnaich zurückgekehrt war. Ohne Onkel Callum irgendetwas davon zu erzählen, hatte sie das Buch in langen Nächten bei Kerzenlicht mühevoll durchgearbeitet und war dabei auf eine ihr unbekannte, rätselhafte Welt gestoßen, die ihr wie blühende Fantasterei vorgekommen wäre, wenn sie sie nicht in der fein geschwungenen Handschrift ihrer Mutter und in dem nüchternen Tonfall einer Anleitung vorgefunden hätte.
Es war die Welt der Magie gewesen, und als Kendra sie hier draußen am Waldsee, den Weisungen des Buches folgend, für sich entdeckt hatte, zögernd erst, doch bald schon mit zunehmendem Wissenshunger, hatte sie festgestellt, dass es etwas gab, das noch viel besser war als alle Camerons dieser Erde.
Der Waldsee lag still und verlassen im Mondlicht da. Die helle Scheibe am dunklen Nachthimmel spiegelte sich glitzernd im vom Wind leicht gekräuselten Wasser, und ihr fahles Silberlicht verlieh dem Ort einen Hauch von Unwirklichkeit. Hohe, schlanke Föhren standen in einem dichten Kreis um den See herum, in dessen Mitte sich zwei kleine Inseln – nicht viel mehr als moosige Felsen – erhoben, und es war, als bildeten die Bäume eine Art Schutzwall vor der Welt, die jenseits von ihnen lag. Die Schatten unter ihnen wirkten aus einigen Schritten Entfernung betrachtet vollkommen undurchdringlich, wie eine Wand aus Finsternis. Doch Kendra hatte keine Angst. Im Wald fühlte sie sich geborgen.
An einer von Gras bewachsenen Stelle unweit des Seeufers, die durch dichtes Buschwerk geschützt war, aber eine wundervolle Sicht über das Wasser erlaubte, befand sich ein niedriger, annähernd quaderförmiger Stein, dessen Kanten von Wind und Wetter rund geschliffen worden waren und in dessen Ritzen sich feines Moos festgesetzt hatte. Neben diesen Stein legte Kendra ihre Umhängetasche, danach ging sie zum Gebüsch zurück, um Schuhe, Strümpfe, Rock und Jacke auszuziehen, sodass sie nur noch ihr schlichtes Nachthemd trug. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, auch dieses abzulegen, entschied sich dann aber dagegen. Die Nächte waren einfach noch zu kalt, um das Ritual nackt durchzuführen, auch wenn sie es liebte, die Ströme
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