Magierdämmerung 01. Für die Krone - Perplies, B: Magierdämmerung 01 Krone
meiste Zeit hatte sein unbekannter Helfer ihn mit erstaunlicher Kraft mehr getragen als gestützt, während er selbst in einen fiebrigen Zustand irgendwo zwischen Wachen und Träumen verfallen war, in dem sich die Welt immer wieder verdrehte und verzerrte und seine Sinne bisweilen regelrecht auszusetzen schienen.
Es dauerte ein wenig, aber schließlich gelang es Jonathan auch, sich an das Haus zu erinnern, in dem er lebte. Und nachdem sie die Hauswirtin Misses Fincher aus dem Schlaf geläutet hatten, die aufgeregt wie eine Glucke ihren heimkehrenden Untermieter in Empfang nahm, vermochte Jonathan sich so weit zu sammeln, dass er seinem Retter zum ersten Mal richtig in die Augen blicken konnte.
Es handelte sich um einen mittelgroßen, untersetzt wirkenden Mann, der tatsächlich einen fast bodenlangen, speckigen Kutschermantel trug und dessen braunes Kraushaar unter einer zerknautschten Schiebermütze hervorlugte. Sein glatt rasiertes Gesicht wirkte, genau wie seine Mütze, etwas mitgenommen, so als wäre er im Laufe der Jahre in mehr als nur eine Handgreiflichkeit hineingeraten. Doch die Lachfalten um seine Mundwinkel und die wach glitzernden Augen milderten den grimmigen Eindruck, den er auf den ersten Blick erweckte, und verliehen ihm irgendwie eine vertrauenerweckende Ausstrahlung.
»Danke!«, sagte Jonathan schwach. »Danke für alles!«
Der Mann tippte sich kurz an den Rand seiner Schiebermütze und nickte. »Keine Ursache. Ich helfe gerne. Sie werden sich sicher irgendwann erkenntlich zeigen.«
»Das werde ich«, versprach Jonathan. Er blinzelte und schwankte, als ihn zum wiederholten Mal der Schwindel überkam.
»Kommen Sie, Sie müssen dringend ins Bett«, meldete sich Misses Fincher entschieden zu Wort.
»Ja, sofort … Ich …« Jonathan schluckte und rieb sich mit der Hand über das Gesicht. Überrascht stellte er fest, dass es schweißnass war, als hätte er hohes Fieber. »Wie werde ich … ich Sie finden?«, fragte er den Mann.
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Wir finden uns schon«, sagte dieser leichthin.
Matt schüttelte Jonathan den Kopf. Sofort bereute er die Bewegung, denn sie brachte die Welt um ihn herum ins Schwanken wie das Deck eines Schiffes bei rauer See. »Aber wie … Ich kenne doch nicht mal … Ihren Namen …«
»Der Name ist Randolph, mein Herr. Ich heiße Randolph. Und jetzt gute Nacht.« Er tippte abermals an seine Mütze und wandte sich ab. Jonathan bemerkte, dass er humpelte, so als habe er irgendwann eine schwere Beinverletzung erlitten.
Widerstandslos ließ sich Jonathan von seiner Hauswirtin ins Innere des Hauses ziehen. Bevor sie die Tür schloss, warf er einen letzten Blick nach draußen, und ihm war, als geselle sich ein großer schwarzer Vogel flatternd zu der im Schatten verschwindenden Silhouette des Mannes.
Randolph … , dachte er, während die Tür ins Schloss fiel. Irgendwie hatte er das Gefühl, der Name müsse ihm etwas sagen. Aber es wollte ihm nicht einfallen, was.
19. April 1897, 00:10 Uhr GMT
Schottland, A’Charnaich, am Ufer des Loch Leven
Kendra schwamm in der Magie. Überall um sie herum funkelte und brodelte es, während sie mit weit geöffneten Augen und kräftigen Schwimmbewegungen durch eine Welt aus summendem Licht tauchte. Ein wundervolles Prickeln erfüllte sie von den Haarspitzen bis zu den Fußsohlen, stärker und reiner, als sie es jemals durch eines ihrer Rituale am Seeufer hatte heraufbeschwören können. Neugierig wandte sie den Kopf von links nach rechts, um die armdicken Strahlen aus zauberischem Glitzern zu bewundern, die das angenehm warme Wasser durchzogen und die Tiefe des Waldsees taghell erleuchteten. Ihr langes Haar umschwebte sie wie eine kupferfarbene Wolke, winzige Magieentladungen knisterten darin.
Unmittelbar vor Kendra lag die Quelle dieses magischen Ausbruchs, der Ort ihrer höchsten Dichte. Die Magie strahlte dort so hell, dass Kendra sie nicht länger als einen Lidschlag anzuschauen vermochte. Geblendet musste sie die Augen schließen, genau so, als wenn sie an einem klaren Sommermorgen in die am wolkenlos blauen Himmel aufgehende Sonne zu blicken versuchte, weil sie herausfinden wollte, was sich tief darin verbarg. Schon als kleines Kind hatte sie sich immer gewünscht, die Sonne berühren zu können, und auch wenn sie später erkannt hatte, dass dieser Traum unerfüllt bleiben musste, hatte in einem kleinen, verborgenen Flecken ihres Herzens der Wunsch überdauert, dieses wundersame Licht, das alles
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