Magierdämmerung 01. Für die Krone - Perplies, B: Magierdämmerung 01 Krone
Umhängetasche geschlungen hatte, und bettete seinen Kopf darauf.
In diesem Augenblick vernahm sie auf der anderen Seite und oberhalb der Brücke das Quietschen eines Fensterladens. Panisch hob sie den Kopf und sah, dass die Witwe Moncreiffe, eine Laterne in der erhobenen Linken, den Kopf zum Fenster herausstreckte, wohl um nachzusehen, was dort draußen für eine Unruhe herrschte, und das mitten in der Nacht.
Sie darf mich nicht sehen , durchzuckte es Kendra. Ohne lange darüber nachzudenken, sprang sie auf und floh wie ein aufgescheuchtes Reh die Straße hinunter in die Dunkelheit, in Richtung des Clachaig Inn, aus der Onkel Callum vorhin gekommen war.
»He! Wer da? Strauchdiebe und Mordbuben!«, hörte sie die alte Witwe Moncreiffe mit durchdringender Stimme keifen. Kendra war sich im Klaren darüber, dass in einem kleinen Ort wie A’Charnaich binnen Minuten das halbe Dorf auf den Beinen und im Nu die ganze Nachbarschaft in Aufruhr sein würde. Und dann … ja, dann …
Heiliger Andreas! , durchfuhr es Kendra, als ihr klar wurde, was sie, ohne es zu wollen, angerichtet hatte. Onkel Callum würde sich fürchterlich aufregen, wenn er aufwachte. Vielleicht würde er sein »gemeingefährliches und offenkundig geistig gestörtes Mündel« gar nicht mehr ins Haus lassen. Und die Dorfgemeinschaft würde mit Fingern auf sie zeigen. Dass Kendra an dem ganzen Zwischenfall im Grunde unschuldig war, würde dabei niemanden interessieren.
Was mache ich jetzt nur? , fragte sie sich, während sie ihre Schritte in der Finsternis allmählich verlangsamte und schließlich eine halbe Meile außerhalb des Dorfes atemlos und mit klopfendem Herzen stehen blieb. Sie schlang die Arme um den Leib und blickte beklommen zurück. Vom Dorf her glaubte sie Stimmen zu vernehmen, vermutlich waren es die Menschen, die von Onkel Callum oder von der Witwe Moncreiffe aus dem Schlaf gerissen worden waren. Von welcher Seite sie es auch betrachtete, sie sah keine Möglichkeit, dieser Geschichte noch ein gutes Ende zu geben. Und je länger sie darüber nachgrübelte, desto klarer wurde ihr, dass endlich der Tag gekommen war, vor dem sie sich stets gefürchtet und den sie zugleich immer herbeigesehnt hatte. Sie würde A’Charnaich verlassen müssen und niemals zurückkehren können.
Am besten ging sie auf der Stelle. Gut, dass sie nicht viel besaß. Sie würde nichts Wichtiges zurücklassen, wenn sie jetzt weiterging und dem Dorf für immer den Rücken kehrte. Ein paar Kleider würden in ihrem Schrank hängen bleiben, eine alte Puppe aus Kindheitstagen würde alleine auf ihrem Wandbord sitzen, ein paar Bücher … Das Buch meiner Mutter , durchfuhr es sie siedend heiß. Es lag noch unter dem Schrank, dort, wo es immer lag, denn sie nahm es schon seit einiger Zeit nicht mehr mit, wenn sie hoch zum See ging.
Kendra schalt sich für ihre Nachlässigkeit, die im Grunde gar keine war, sondern eher eine Verkettung unglücklicher Umstände. Sie wäre bereit gewesen, ihr ganzes Leben in diesem Zimmer in Onkel Callums Haus zurückzulassen, aber das Buch ihrer Mutter würde sie ihm nicht überlassen. Ich muss noch einmal zurück , entschied sie.
Geduckt schlich sie auf dem Weg zurück, nur um sich, kaum dass A’Charnaich in Sicht kam, in die Wiesen zu schlagen und sich dem Gebäude, das jahrelang ihr Zuhause gewesen war, in einem weiten Bogen von hinten zu nähern. Zu ihrem Glück richtete sich die Aufmerksamkeit der Hälfte der Dorfbevölkerung, die sich von dem Krach dazu hatte verleiten lassen, neugierig auf die Straße zu treten, ganz auf Onkel Callum am Ostende der Siedlung. Und der Rest lag tief und fest schlafend in seinen Betten – unbeeindruckt von dem nächtlichen Aufruhr.
Ungesehen gelangte sie zu dem angelehnten Fenster an der rückwärtigen Wand des Hauses, durch das sie vor etwa einer Stunde hinausgeklettert war. Vorsichtig öffnete sie es und kletterte ins Innere. Sie wollte auf keinen Fall länger als nötig bleiben, denn es stand zu erwarten, dass die Dörfler ihren Arzt bald nach Hause bringen würden. Daher holte sie nur rasch das Buch ihrer Mutter aus seinem Versteck hervor und steckte es in ihre Tasche. Danach zog sie sich frische Kleider an und warf sich zudem ihr Kapuzencape über, das sie vor dem Regen schützen würde, der im Frühjahr – und eigentlich auch während aller anderen Jahreszeiten – in schöner Regelmäßigkeit vom wolkenverhangenen schottischen Himmel fiel.
Sie hatte sich schon beinahe wieder aus dem Fenster
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