Magierdämmerung 01. Für die Krone - Perplies, B: Magierdämmerung 01 Krone
Schuhe und Strümpfe aufheben und zu Giles zurückgehen, da hörte sie wieder das Geräusch. Sie hielt inne und lauschte konzentriert. Es klang tatsächlich wie ein Lachen, und es schien von jenseits der Sträucher zu kommen, die ein paar Schritt entfernt wuchsen.
Geduckt und verstohlen wie eine Katze, die jagend durchs hohe Gras schleicht, näherte sich Kendra den Sträuchern. Sie wollte nicht verschrecken, was immer sich dahinter verbarg. Auf allen vieren kroch sie vorsichtig zwischen den dicht belaubten Zweigen hindurch.
Zuerst sah sie nicht mehr als eine kleine Gruppe dicht beieinanderstehender Disteln. Im nächsten Augenblick allerdings weiteten sich ihre Augen, denn die vier Pflanzen bewegten sich und entpuppten sich als winzige elfenhafte Geschöpfe mit dürren Körpern, blattartigen Armen und übergroßen Köpfen, die von einer ausladenden violetten Haarpracht gekrönt wurden. Ihre Herkunft war unverkennbar. Es handelte sich um ehemalige Disteln. Doch irgendetwas hatte die Stechpflanzen dazu bewogen, ihre Wurzeln aus dem Boden zu ziehen, Augen, die zuvor nicht da gewesen waren, zu öffnen, und jetzt staksten sie mit den ungelenken Bewegungen von Geschöpfen, die soeben erst das Laufen gelernt hatten, durch das für sie gut hüfthohe Gras und schienen sich dabei über ihre Unbeholfenheit prächtig zu amüsieren. Die zügellose Magie , fuhr es Kendra durch den Kopf. Gestern Nacht am Waldsee hatte sie ihr Wirken am eigenen Leib verspürt. Allem Anschein nach handelte es sich nicht um ein örtlich begrenztes Phänomen.
Behutsam zog sie sich zurück, sprang auf der anderen Seite der Sträucher auf und eilte zu ihrem Großvater. »Großvater«, rief sie leise.
Er hob den Kopf und wandte sich zu ihr um. »Was gibt es denn?«
»Ich muss dir etwas zeigen. Dort drüben hinter den Sträuchern sind Wiesengeister.«
Giles McKellen hob beide buschigen Augenbrauen. »Wiesengeister?«, wiederholte er ungläubig.
Kendra nickte. »Ja, komm mit. Aber sei leise, sonst hören sie uns.«
»Keine Sorge, das weiß ich zu verhindern«, sagte Giles. Sein Blick verschleierte sich, und mit den Fingern seiner rechten Hand vollführte er eine kompliziert aussehende Geste.
Er wirkt Magie , erkannte Kendra, und in einem Anflug von Neid wünschte sie sich, auch sie könnte so beiläufig auf die Energien zugreifen, die sie, verborgen hinter dem Schleier der Wirklichkeit, unablässig umflossen.
»So«, sagte ihr Großvater zufrieden. »Ich glaube nicht, dass sie uns jetzt noch hören können. Aber wir sollten trotzdem aufpassen.«
Kendra nickte, dann drehte sie sich um und führte ihren Großvater zu der Stelle, wo sie die lebenden Disteln entdeckt hatte. Um dem alten Mann die Kriecherei zu ersparen, wandte sie sich diesmal jedoch nach rechts und umrundete in geduckter Haltung die Sträucher.
Die lebenden Disteln waren immer noch da. Arglos spielten sie im Gras, schnatterten lebhaft durcheinander und wedelten mit den stacheligen Blätterarmen, wenn eine von ihnen über ihre eigenen Wurzelbeine stolperte.
Die junge Frau spürte, wie ein Kichern in ihrer Kehle hochstieg, und sie schlug die Hand vor den Mund, um es zu unterdrücken. Mit leuchtenden Augen blickte sie ihren Großvater an – und schlagartig verschwand ihre Heiterkeit.
Giles McKellens Miene hatte sich verdüstert, wie der Himmel, wenn ein schweres Unwetter droht.
»Was hast du?«, flüsterte Kendra ängstlich.
»Das ist nicht gut«, sagte Giles. »Gar nicht gut.«
»Aber es sind doch nur winzige Wiesengeister.«
Ihr Großvater schüttelte den Kopf. »Oh nein, mein Kind! Sie sind leider viel mehr als das. Sie sind die Vorboten des kommenden Chaos – und dieses Chaos naht noch schneller, als ich befürchtet habe.«
19. April 1897, 12:31 Uhr GMT
England, London, Redaktion des Strand Magazine in der Southampton Street
»Guten Tag, Mister Kentham!«, begrüßte der Portier Jonathan, als dieser das schmale Gebäude betrat, in dem die Redaktion des Strand Magazine untergebracht war.
»Guten Tag, Mister Higgins!«, erwiderte Jonathan. »Wie geht es Ihnen?«
»Prächtig, vielen Dank, Sir! Und Ihnen geht es auch wieder besser? Ich hörte, Sie seien unpässlich gewesen.«
Jonathan schenkte ihm ein schiefes Lächeln. »Das war ich auch. Eine unangenehme Sache. Aber jetzt fühle ich mich schon wieder fast vollständig hergestellt. Und da die Arbeit nicht wartet, dachte ich, schaue ich doch einfach noch einmal in der Redaktion vorbei.«
»Sehr gut, Sir.« Der grauhaarige
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