Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
Haken? , fragte er. Das Ritual kann mich doch hoffentlich nicht in den Wahnsinn treiben oder so etwas.
Wie Sie mit den Erinnerungen umgehen, die Sie gewinnen, liegt allein bei Ihnen. Wenn Sie Angst vor der Vorstellung haben, den Teil eines fremden Menschen in Ihrem Geist zu tragen, mag es sein, dass Sie darüber den Verstand verlieren. Nehmen Sie das Ganze als Geschenk an, plagen Sie vielleicht einen Tag lang Kopfschmerzen wie nach einem besonders intensiven Lernmarathon an der Universität. Da Sie studiert haben, dürfte Ihnen Derartiges nicht unbekannt sein. Anschließend sollten Sie – von einem gelegentlichen geistigen Schluckauf abgesehen – keine Schwierigkeiten mehr haben.
Das klingt nicht so schlimm , dachte Jonathan.
Oh, das Ergebnis ist nicht so schlimm. Aber das Ritual selbst ist die Hölle. Sie werden Schmerzen erleiden, die Sie nicht so schnell vergessen, glauben Sie mir. Ich werde diese Schmerzen auch spüren, weil ich es wohl sein werde, der Drummond sein Bewusstsein entreißen muss – und glauben Sie mir, ich bin keineswegs erpicht darauf …
Und Drummond? Jonathan zögerte. Wird er …?
Ja , bestätigte Holmes. Er wird sterben. Das ist der Preis. Böswillige Magiekundige nehmen den Tod Ihres Opfers in Kauf, um sich dessen Erfahrungen einzuverleiben. Mir ist diese Vorstellung zuwider. Aber es ist Drummonds Leben. Wenn er es Ihnen schenken will, steht ihm das frei. Angesichts der Tatsache, dass er ohnehin stirbt, kann ich ihn sogar verstehen. So wird er auf seine Weise an Wellingtons Sturz teilhaben und Rache an Hyde-White nehmen – vorausgesetzt, es gelingt uns, Wellington und Hyde-White aufzuhalten.
Woher wissen Sie so viel über all das?
Es dauerte einen Moment, bis Holmes darauf antwortete. Das erzähle ich Ihnen ein anderes Mal … Es genügt zu wissen, dass ich das Ritual kenne und durchführen könnte. Es behagt mir nicht, aber um Ihretwillen würde ich es tun. »Entscheiden Sie sich!« Den letzten Satz sprach er laut, um Drummond wissen zu lassen, dass ihre lautlose Unterredung beendet war.
Jonathan schloss die Augen. Ihm war klar, dass Drummond das Angebot nicht unbegrenzt lange aufrechterhalten konnte. Den Geräuschen nach zu urteilen, die von der Steinbank zu ihm durch die Finsternis drangen, lag der Schotte wirklich in den letzten Zügen. Schon in einer halben Stunde mochte er tot sein. Aber konnte man eine Entscheidung wie die von Holmes geforderte in so kurzer Zeit überhaupt treffen? Konnte er wirklich den Geist eines vollkommen Fremden in sein Bewusstsein aufnehmen – und wenn auch nur den stummen, passiven Teil desselben?
Holmes sagte, es wäre alles nur eine Frage der Einstellung, und Jonathan argwöhnte, dass er hier aus Erfahrung sprach. Aber Holmes war zum Zeitpunkt dieser Erfahrung zweifellos schon seit Jahren ein Magier gewesen und sein Verstand entsprechend geschult. Jonathan hätte vor weniger als einer Woche bei dem Wort Magier noch an einen Mann im Frack gedacht, der Blumen aus einem Hut und Münzen hinter den Ohren überraschter Zuschauer hervorzauberte. Bin ich bereit dafür? , fragte er sich, woraufhin sich gleich eine weitere Frage anschloss, die er laut stellte: »Warum wollen Sie das tun, Mister Drummond? Warum wollen Sie dieses Opfer bringen?«
»Weil der … Alte Mann an Sie glaubte, Mister Kentham«, erwiderte Drummond mühsam. »Sonst hätte er nicht … Sie wissen schon. Außerdem ist das Opfer nicht so groß … wie Sie denken. Mein Tod ist unausweichlich. Wenn aber mein Wissen … helfen kann, Sie am Leben zu erhalten, dann … dann … trenne ich mich davon gerne. Also zaudern Sie nicht, verdammt. Ich weiß nicht … wie lange ich noch …« Er brach ab und atmete mühevoll ein und aus.
»In Ordnung«, sagte Jonathan, innerlich nicht überzeugt, jedoch entschlossen, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. »Tun Sie es, Holmes!«
»Ich habe befürchtet, dass Sie das sagen würden«, erwiderte dieser. »Na schön. Gewähren Sie mir einen Moment, um mich zu sammeln. … Was gäbe ich jetzt für einen kleinen Whiskey«, fügte er murmelnd an sich selbst gerichtet hinzu.
Während der Magier leise vor sich hin murmelte, schloss Jonathan erneut die Augen und versuchte sich auf die Wahrsicht zu konzentrieren. Er wollte das, was nun folgte, nicht blind miterleben, sondern zumindest halbwegs erkennen können, was vor sich ging. Obwohl er es eigentlich albern fand, wiederholte er das Mantra, das Kendra ihm während ihrer gemeinsamen Übungen einige Stunden
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