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Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit

Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit

Titel: Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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zu geben, als Holmes mit beiden Händen seinen Kopf umfasste und die Finger in seine wilde Haarpracht krallte.
    Es war ein seltsames Bild von erschreckend roher Gewalt, das sich Jonathan gefiltert durch die Wahrsicht darbot. Während Holmes mit aller Kraft an Drummonds Kopf zu ziehen schien, als wolle er ihm den Schädel vom Leib reißen, bäumte sich der Schotte keuchend und stöhnend auf der Steinbank auf, ballte krampfhaft die riesigen Fäuste und versuchte doch gleichzeitig offensichtlich, die unvorstellbaren Schmerzen, die er erleiden musste, zu ertragen, ohne dass der ganze Raum auf das Tun der beiden Männer aufmerksam wurde. Derweil tobte Wilkins in ihrem Rücken wie ein von der Tollwut Befallener und ließ sich weder von Cutlers beschwörenden Worten noch von Ashbrooks Versuchen, ihn festzuhalten, bändigen.
    Mit zusammengepressten Lippen und zugeschnürter Kehle beobachtete Jonathan, wie Drummonds Fadenaura schwächer wurde und an Kontrolle verlor. Dünner werdende Fäden wanderten wie suchend über die Steinbank und die angrenzende Mauer, und ein unruhiges Flackern irrlichterte durch den magisch schimmernden Leib des Schotten, als tobe ein Inferno durch sein Inneres, das alle Sinne überlastete.
    Holmes’ Aura pulsierte nicht weniger. Hier allerdings schien das Leuchten mit seinem hämmernden Herzschlag einherzugehen, während der Magier, für normale Augen kaum sichtbar, geschweige denn verständlich, mit äußerster Kraftanstrengung versuchte, Drummond sein Bewusstsein zu entreißen. »Nicht … bewegen … Mister Kentham …«, ächzte Holmes, während er seine Hände langsam von Drummonds Kopf löst. Dabei zog er ein Netz von Fäden hervor, gleich einem Haufen chinesischer Glasnudeln, aber Jonathan wusste, dass sein eigener Blick nur in die erste und grundlegende Sphäre der Wahrsicht reichte. Er nahm an, dass Holmes etwas ganz anderes sah, da er sich zweifellos in der zweiten Sphäre bewegte, in der Bewusstsein an Bewusstsein grenzte und zwischen Gedanken Fäden entstanden, wie sonst nur zwischen sinnlich Wahrnehmbarem.
    »Jetzt!«, keuchte Holmes, riss seine Arme mit dem Fadenknäuel herum und rammte es Jonathan direkt ins Gesicht.
    Es fühlte sich an, als habe ihm jemand mit einer Axt die Schädeldecke gespalten! Jonathan stieß einen Schrei aus, der selbst Wilkins’ Toben übertönte. Von einer Sekunde zur nächsten erlosch die Wahrsicht um ihn herum, und der Raum versank wieder in Dunkelheit. Blind und von rasenden Kopfschmerzen gepeinigt, stolperte Jonathan rückwärts, die Hände an den Schläfen und den Mund noch immer zum mittlerweile lautlosen Schrei geöffnet, während sein überlasteter Verstand irgendwie versuchte, all die Bilder zu begreifen und zu verarbeiten, die wie donnernde Wassermassen aus einem gebrochenen Staudamm auf ihn einstürzten.
    Irgendjemand packte ihn an den Schultern, zog ihn zurück und bewahrte ihn so davor, weiter durch die Schwärze zu torkeln und womöglich zu stürzen. »Durchhalten!«, vernahm er eine Stimme, die er nicht zuordnen konnte. »Es dauert nicht lange.«
    Die Stimme sollte recht behalten – wenn auch auf andere Weise als erwartet. Der Schmerz rollte einem Flächenbrand gleich einmal durch Jonathans ganzes Bewusstsein, schien jede Hirnwindung zu füllen und mit glühenden Flammenzungen zu kauterisieren. Dabei steigerte er sich immer weiter, bis Jonathan schon glaubte, mehr könne er nicht ertragen.
    »Zweite Runde«, sagte die Stimme, und ein weiterer Axthieb traf Jonathan.
    Diesen Augenblick wählte sein Geist, um sich in die wohltuende Umarmung der Bewusstlosigkeit zu verabschieden.
    22. April 1897, 17:20 Uhr GMT
England, London, Nightingale Lane
    Der Himmel über der Stadt hatte sich noch weiter verdunkelt und eine drückende bleierne Färbung angenommen. Die Luft roch nach Regen und trug einen schwer in Worte zu fassenden Geschmack nach kaltem Metall und süßlich prickelnder Elektrizität mit sich. Alles deutete auf den unmittelbaren Ausbruch eines Unwetters hin. Das hier war nur die unheilvolle Ruhe vor dem Sturm.
    Mit unbeholfenen Bewegungen kroch der kleine grauschwarze Vogel am Rand der Straße über das Kopfsteinpflaster. Matt glänzende Flügel, die viel zu winzig für seinen gusseisernen Körper schienen, zuckten träge auf seinem Rücken, und sein Schnabel öffnete und schloss sich immer wieder in einer Geste der völligen Erschöpfung.
    Noch vor ein paar Stunden war er zierender Teil eines aufwendig gefertigten Türklopfers an einem Haus

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