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Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Titel: Magierdämmerung 03 - In den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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damit zu stehen. Beim Neujahrsfest 1895 beispielsweise hatte sie einen zudringlichen jungen Adligen von sich schieben wollen, ihn aber stattdessen meterweit durch den Ballsaal geschubst. Es war ein furchtbar peinlicher Moment gewesen. Und in Friedrichshof hatte sie mal eine Vase von einem Sockel gestoßen, als sie versuchte, die Funken zu verscheuchen. Dieses Geschehen hatte ihr niemand zur Last gelegt, immerhin war sie gute zehn Meter weit entfernt gewesen; aber innerlich glaubte Feodora, irgendwie doch dafür verantwortlich zu sein. Sie hatte die Vase geradezu unter den Fingern gespürt, obwohl sie sie nicht berührt hatte. Ähnliche Fälle mehrten sich in letzter Zeit, und sie glaubte einfach nicht, dass das ein Zufall war.
    Den Auslöser für ihre meist völlig überraschend und scheinbar grundlos auftretenden Beschwerden festzumachen, war Feodora leider trotz penibler Buchführung nicht möglich gewesen. Mal überkam es sie im wilden Wirbel auf der Tanzfläche bei einem abendlichen Ball. Dann wieder spät am Nachmittag, wenn sie alleine in ihren Gemächern am Fenster saß und die Gedanken schweifen ließ. Am Frühstückstisch hatten die Schmerzen und die Halluzinationen sie hingegen noch nie heimgesucht – bis heute.
    Die Tür flog auf, und aus den Augenwinkeln sah Feodora, wie Doktor Meinhardt in Begleitung des Hofdieners in den Raum stürzte. Das Gesicht des sechzigjährigen Arztes war gerötet, und sein Atem ging stoßweise. Allem Anschein nach war er – entgegen seiner sonst eher behäbigen Art – den ganzen Weg von seinem Zimmer bis hierher gerannt. »Halten Sie durch, Hoheit. Ich bin schon da. Ich bringe Ihre Medizin.«
    »Nein«, ächzte Feodora. Sie wollte keine Medizin. Das Zeug schmeckte scheußlich und machte sie müde. »Gehen Sie.« Sie machte eine abwehrende Geste mit der Hand und wischte dabei Geschirr und Besteck vom Frühstückstisch. Mina kreischte erschrocken auf, als das gute Porzellan klirrend zu Boden fiel und zerbrach. Was für eine dumme Gans, dachte Feodora, während ihre Augen flatterten.
    »Sie brauchen Ihre Medizin, Hoheit«, beharrte Meinhardt. Er gab dem Hofdiener ein Zeichen. »Helfen Sie mir. Halten Sie sie fest, damit sie in ihren Krämpfen nicht den Becher wegschlägt.« Gehorsam kam der Mann näher. Eine Schlangengrube aus gelbem Licht wand sich um seinen Oberkörper.
    »Nein!«, schrie Feodora. »Ich bin nicht krank! Ich brauche keine … «
    Starke Hände griffen nach ihren Schultern. Sie versuchte, sich ihnen zu entwinden, aber ihr fehlte die Kontrolle über ihre Glieder. »Bitte verzeihen Sie mir, Hoheit «, sagte der Diener, während er sie festhielt.
    »Ich brauche keine Medizin!« Ein weiterer stechender Schmerz hinter ihrer Stirn ließ sie aufstöhnen. Überall funkelte und glitzerte es vor ihren Augen. Sie versuchte, die Lichtpunkte wegzublinzeln und zu unterdrücken, aber es gelang ihr nicht. Gleißende Risse entstanden in der Tischplatte, an den Wänden und im ernsten, faltigen Gesicht von Doktor Meinhardt, der soeben eine grünliche Flüssigkeit in einen kleinen Messingbecher abfüllte.
    »Bitte trinken Sie das«, beschwor der Arzt die junge Adlige. »Ich möchte Ihnen nicht schon wieder eine Spritze geben müssen.« Er hielt ihr den Becher an den Mund. »Danach werden Sie sich besser fühlen, das verspreche ich Ihnen.«
    Es nützt doch nichts! , schrie sie innerlich. Ich bin nicht krank. Und ich bin nicht verrückt. »Es geht mir gut!« Wütend sprang sie auf und schüttelte dadurch den Diener ab. Polternd fiel der Stuhl um, auf dem sie gesessen hatte.
    Mina kreischte erneut auf, und Doktor Meinhardt verschüttete die Medizin im Messingbecher. Er stieß einen Fluch aus, der einem Mann seines Standes keineswegs angemessen war. »Haltet sie fest!«, befahl er, während Feodora auf unsicheren Füßen in Richtung Tür zu fliehen versuchte.
    Der Hofdiener, der sich rasch wieder gefangen hatte, verstellte ihr den Weg. Sofort wirbelte Feodora herum, um den Frühstückssaal durch die prunkvolle Doppeltür am anderen Ende des Raumes zu verlassen. Aber die rasche Bewegung ließ sie taumeln. Sie schwankte drei Schritte auf die hohe Fensterfront zu, dann drohten ihr die Beine unter dem Körper wegzuknicken. Im letzten Augenblick ergriff sie einen der schweren Vorhänge neben den Fenstern und hielt sich daran fest. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, und sie hatte das Gefühl, als müsse ihr der Kopf zerspringen. Sie konnte kaum noch etwas sehen, so sehr tobte ein Sturm aus

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