Magische Insel
krauses graues Haar stand wild vom Kopf ab. Seine Lederkleidung starrte vor Schmutz. Man konnte die ursprüngliche Farbe nicht mehr feststellen. Schmutzige Wolle quoll aus den Löchern in Hose und Weste.
»Bring mir das Tier.«
»Will er es hier in der Herberge schlachten?« fragte ich Arlyn.
Arlyn lachte. »Messer wirst du nicht sehen, mein Junge. Antonin ist ein großer Magier.«
»Zu groß«, murmelte der Mann gegenüber, der nichts gesagt hatte, seit ich Platz genommen hatte. Jetzt wendete er sich an seinen Gefährten, einen älteren Mann in verblichener grüner Kleidung und einem schweren grünen Umhang.
Ein eiskalter Windstoß traf mich, als der Hirte hinausging, obwohl die Tür nur ganz kurz offen stand. Draußen pfiff der Wind. Es war fast ganz dunkel. Ich überlegte, wie viel Eisregen noch fallen würde, bis ich weiterritt. Würde es morgen schneien?
Arlyn schlürfte und erinnerte mich daran, dass auch ich einen Humpen in Händen hielt. Vorsichtig nippte ich vom Most. Er schmeckte nicht irgendwie fremdartig. Trotzdem wartete ich, bis ich den nächsten Schluck nahm.
»Zehn Pfennig!« Das Mädchen knallte einen Teller mit zwei dicken Scheiben Schwarzbrot und einer dünnen Scheibe Käse vor mich auf den Tisch. »Und die Marke zurück.«
Ich gab ihr die Marke und einen Silberling.
Jetzt hatte ich Brot und Käse, fragte mich jedoch, ob ich beides gefahrlos essen könne.
Als ich hinter die Trennwand zu den vornehmen Herrschaften schaute, begegnete ich dem Blick des Grauen Magiers. Er nickte kurz, als wolle er mir sagen, ich könne es essen.
Dann blickte ich auf den Humpen zwischen Arlyns Händen. Diesmal vermochte ich vom Gesicht des Magiers nichts abzulesen. Das war Antwort genug. Doch warum antwortete er überhaupt auf meine unausgesprochenen Fragen? Und warum traute ich dem Mann in Grau, nicht jedoch dem in Weiß?
Während ich auf einem Bissen Schwarzbrot herumkaute, zerbrach ich mir darüber den Kopf. Tamra hätte mich einen Schwachkopf genannt, schon weil ich diese Spelunke betreten hatte.
Wieder öffnete sich die Eingangstür. Diesmal weiter. Der Eiswind vertrieb die Wärme, die sich gebildet hatte, da so viele Menschen auf engem Raum zusammensaßen. Ich spülte das Brot mit einem Schluck Most hinunter.
Bääääää …
Der Hirte kam herein. Er trug ein mageres Schaf auf den Schultern. Als er zu den Magiern ging, kam er so nahe an meinem Tisch vorbei, dass er den Mann in Grün beinahe streifte.
Die Tür war wieder geschlossen. Plötzlich glaubte ich bei dem Gestank des schmutzigen Schafs und des ungewaschenen Hirten ersticken zu müssen. Wäre ich nicht vor kurzem dem Eis und dem Schneesturm entflohen, wäre ich versucht gewesen, den Gestank gegen die frische kalte Luft draußen einzutauschen. Aber draußen war es bitterkalt.
»Pass doch auf!« zischte der Mann in Grün wütend.
Bumml Arlyns Kopf fiel auf die Tischplatte. Der Humpen war noch halbvoll. Ich beugte mich zu ihm hinab. Er atmete noch.
»Euer Schaf, Herr!« Der Hirte setzte das Schaf neben dem Tisch des Magiers in Weiß ab.
Das Tier bedankte sich für die Wärme, indem es sich auf den Fußboden entleerte.
Aufgeregt starrte der Wirt den Magier an.
Antonin lächelte und machte eine schnelle Handbewegung. Kot und Gestank waren wie weggeblasen.
Einen Moment lang herrschte atemlose Stille.
»Ihr habt … zwei Silberlinge … versprochen …«
»Die bekommst du auch, guter Mann.« Antonin holte die Münzen aus der Börse und legte sie auf die Tischkante.
Arlyn der Schreiner schnarchte laut neben mir.
Der Hirte holte einen kleinen Hammer aus einem Beutel und schlug auf die Münzen. Sie blieben Silber.
»So ein Narr«, murmelte mein Nachbar.
Der Mann in Grün nickte.
Narr? Die Münzen eines Magiers prüfen? Ich hätte es auch getan. Aber da Arlyn schlief, wagte ich keinen zu fragen, warum man es für närrisch hielt.
Antonin erhob sich und streifte die Ärmel zurück. Seine Arme waren nicht sonderlich kräftig – wie ich gedacht hatte –, aber auch nicht dünn wie die eines Priesters, sondern sehnig wie die eines Kaufmanns.
»Ehe du gehst, Hirte …«
Der Mann drehte sich um und blickte zu Boden.
»Wirt, bring mir die beiden größten Tabletts, die du hast.«
»Würden zwei lange Platten genügen?«
»Die wären hervorragend, mein Freund.«
Ständig benutzte er das Wort ›Freund‹. Es störte mich nicht nur, sondern ich fand es auch langweilig.
Der Graue Magier trank mit verdrossener Miene einen Schluck Most und
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