Magische Insel
Er war so billig, weil er angeblich so bösartig ist. Ich habe ihn vor dem Leimtopf gerettet. Jedenfalls hat der Kerl mir das erzählt.« Ich schauderte. Es war kalt im Stall.
Justen kletterte auf die halbhohe Trennwand zwischen den Boxen. Rechts von uns stand eine große Stute, die nervös den Kopf in unsere Richtung drehte. Auf der Stirn hatte sie eine große Blesse.
Der Graue Magier zog sich an der Trennwand hinauf. Direkt über ihm war eine quadratische Öffnung zu sehen, durch die Heuhalme hingen. Er stand auf. Mit plötzlichem Schwung sprang er hoch und zog sich durch die Luke nach oben. »Komm, Junge, und bring den Stab neben deinem Pferd mit. Dann schläft es besser – und du auch.« Er verschwand. Ich hörte ihn im Heu rascheln.
»Wie …?«
»Spürst du es nicht?« lautete die etwas dumpf klingende Frage.
Er hatte recht. Als ich die Hand nach dem Stab ausstreckte, hatte ich das Gefühl, ihn in der Dunkelheit klar sehen zu können. Er schien sich förmlich in meinen Verstand einzubrennen. Ich beugte mich nieder und hob den Stab auf. Er fühlte sich nur wenig warm an – aber es war eine tröstliche Wärme.
Gairloch nickte mit dem Kopf und wieherte leise. Das konnte kein Zufall sein.
»Kommst du, junger Mann?«
Nach kurzer Überlegung nahm ich auch meinen Tornister aus dem Stroh und warf ihn über die rechte Schulter. Dann kletterte ich auf die Trennwand und zog mich – weit weniger anmutig als der Graue Magier – durch die Luke nach oben.
»Haatschi!«
»Der Staub legt sich gleich.« Justen hatte die Stiefel ausgezogen und den Gürtel abgelegt und häufte Heu zu einem Bett auf.
»Übernachten wir hier?«
»Du kannst schlafen, wo du willst. Ich ziehe es vor, nicht unter demselben Dach wie Antonin zu schlafen, denn so schlafe ich besser.«
Ich seufzte. Wieder die alte Leier! Mehr Behauptungen und keine Erklärungen. »Könntet Ihr mir ein paar Dinge erklären?«
Justen streckte sich auf dem Umhang aus, der plötzlich doppelt so groß wie zuvor war und auch doppelt so dick aussah. »Ein paar Dinge schon. Wenn es nicht zu lange dauert. Ich bin müde und möchte morgen ziemlich früh aufbrechen. Ich bin auf dem Weg in den kleinen Weiler Weevett, danach weiter nach Jellico. Jellico ist die Stadt, wo der Vicomte von Certis herrscht. Vor langer Zeit gehörte Howlett zu Certis, doch jetzt erinnert sich keiner mehr daran. Damals gab es nur Schafzucht, und niemand kümmerte sich darum. Jetzt gehört Howlett zu Montgren – und wieder ist das eigentlich allen einerlei, ausgenommen der Herzogin.«
Ich runzelte die Stirn und bemühte mich, meine Fragen zu ordnen. Schließlich gab ich auf. »Ihr habt gesagt, meine Seele sei durch Antonin gefährdet. Warum? Ich meine, wie hätte er mich so verletzen können?«
Draußen heulte der Wind. Eisstücke schlugen gegen das Dach über uns.
Justen wickelte sich in seinen Umhang. »Zieh die Stiefel aus. Deine Füße brauchen Luft.« Er machte es sich im Heu bequem. »Antonin ist der stärkste der Weißen Magier. Ein Chaos-Meister, könnte man sagen. Chaos zu bewirken ist für Körper und Seele sehr anstrengend. Die meisten Weißen Magier sterben jung. Mächtig, aber jung. Antonin und Gerlis – und inzwischen vermutlich auch Sephya – haben die Macht darüber erworben, ihren frühen Tod hinausschieben zu können, indem sie ihre Persönlichkeit und Fähigkeiten in andere – natürlich jüngere Körper übertragen; wenn möglich in Körper, die bereits mit dem Talent ausgerüstet sind, sich aber aus Unwissen nicht zu schützen vermögen. Du passt haargenau auf diese Beschreibung. Deshalb wollte ich dich von Antonin wegschaffen. Er war mit Sephya beschäftigt und ihrer … Situation. Er hat dich nicht richtig erspürt. Deine angeborenen Schutzgefühle sind gut genug, um dich vor einem flüchtigen Blick zu verbergen.«
Wieder schauderte ich. »Danke.« Ich hatte Mühe, mir den ersten Stiefel auszuziehen. Obgleich Regen und Eis nicht durch das dicke Leder gedrungen waren, waren meine Füße tatsächlich feucht. Beim zweiten Stiefel gelang es mir leichter, aber mein linker Fuß war ein bisschen kleiner als mein rechter.
»Oh, dank nicht mir. Ich habe es für mich, nicht für dich getan. Keiner von uns Grauen Magiern kann es sich leisten, dass Antonin einen Körper mit deinen schlummernden Fähigkeiten beherrscht. Sein Wissen ist bereits jetzt zu groß.«
»Und welche Pläne hast du?«
»Nichts Großes. Du kannst dir deine eigene Hölle zimmern, sobald wir von
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