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Magische Insel

Titel: Magische Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. E. Modesitt
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ließ die Augen vom Schaf über die Trennwand zu mir und den anderen Gästen schweifen.
    Der Wirt schleppte zwei riesige Holzplatten herbei und legte sie auf den ersten Schragentisch neben den Herrschaften. Die verschleierte Frau hatte den Stuhl umgedreht, um alles genau zu beobachten. Der ältere Soldat an Antonins Tisch blieb mit dem Rücken zu mir sitzen.
    Die Gäste, darunter eine Kesselflickerin, deren Schultern Koldar und seine Frau, die Steinmetzin, beschämt hätten, standen zögernd auf und stellten sich ans Tischende.
    Antonin ging an zwei Tischen vorbei, an denen vornehme Reisende mit Pelzkragen saßen, und trat zum Wirt. »Nimm das Tier hoch und leg es auf den Tisch – gleich neben die Platten«, befahl er dem Hirten.
    Der Hirte führte die Anweisung mühelos aus.
    Die Tischplatte bebte, als das verängstigte Schaf darauf herumzappelte.
    »Schau genau hin!« zischte mir der Mann in Grün zu. Wie alle anderen starrte ich gebannt auf den Magier.
    Antonin trat einen Schritt vor, der Hirte zurück. Er hielt die Hand am Gürtel, wo er die Silberstücke hingesteckt hatte.
    Antonin hob die Hände.
    Ich schloss die Augen – warum, wusste ich nicht.
    Ein greller Lichtstrahl zuckte laut zischend durch den Raum.
    Trotz der geschlossenen Augen hatte mir das Licht weh getan. Ich blinzelte. Die Augen tränten. Durch den Schleier vermochte ich eher als alle anderen zu sehen. Antonin lächelte widerlich boshaft – wie jemand, der es genossen hatte, ein hilfloses Kind zu verprügeln.
    Justens Miene hatte sich noch mehr verfinstert. Alle übrigen – die Vornehmen und das gemeine Volk – rieben sich immer noch die Augen, um etwas zu sehen. Nur die verschleierte Frau blickte Antonin mit ihren unergründlichen dunklen Augen an.
    »Oh …!«
    »Sieh dir das an!«
    Ich hatte nur Augen für die Magier gehabt und dabei das Schaf ganz vergessen. Jetzt fiel mir ebenso der Unterkiefer hinunter, wie allen anderen. Auf beiden Platten lag ein kunstvoll tranchierter Lammbraten, der dampfte und köstlich duftete. An den Enden der Platten war Brot aufgeschichtet. Neben Antonin lag ein Schaffellteppich. Der Magier wischte sich mit dem weiten rechten Ärmel den Schweiß von der Stirn. Abgesehen von den Keulen sah ich nirgends Knochen.
    Plötzlich rann auch über meine Stirn Schweiß. Es war so heiß wie in der Küche, wenn Tante Elisabet an einem Winterabend für alle Nachbarn Brot gebacken hatte.
    Ich sah, wie der Magier in Weiß erst dem Wirt und dann Justen zulächelte, dem Grauen Magier.
    »Fleisch. Richtiges Fleisch für die Bedürftigen.« Antonin blickte Justen an. »Taten sprechen lauter als Worte, Bruder Magier. Und jetzt sag mir, dass es falsch ist, die Hungrigen zu speisen.«
    »Es ist nicht falsch, Hungrigen eine Stärkung zu geben, aber es ist falsch, ihren Hunger zu stärken.«
    Ich hatte noch nie unklare Antworten gemocht – und Justens Antwort gefiel mir auch nicht. Wenn er Antonin für einen Scharlatan hielt, hätte er das sagen sollen. Oder dass er dem Bösen diente, wenn er die Hungrigen in Versuchung führte. Aber das tat Justen nicht. Er lächelte nur wieder traurig. Tat dieser Mann jemals etwas anderes, als den Weißen Magier zu missbilligen?
    Jetzt musterte Antonin, der Weiße Magier, uns alle. »Kommt her, die ihr keinen Pfennig fürs Essen habt. Hier ist für jeden Hungrigen zumindest eine kleine Portion.« Seine Stimme klang herzlich und freundlich. Er schien es ehrlich gut zu meinen. Doch die wahre Einladung war der Duft des Lammbratens.
    Als erster trat ein Junge mit geflickter Jacke vor, der Lehrling irgendeines Handwerkers. Dann ein Mädchen, dessen Hose zu groß und dessen alte Jacke zu klein war. Ehe die beiden den Tisch mit dem Braten erreicht hatten, schob sich die Hälfte der Armen hinterher. Nur die strahlende Weiße des Magiers hielt die Menge in geordneter Reihe.
    Arlyn schnarchte weiter, aber mein anderer Nachbar und sein Kumpel in Grün mischten sich ins Gedränge. Obwohl das Lamm verlockend duftete, widerte mich der Geruch an. Ich aß den Rest des Schwarzbrots und die Scheibe Käse auf, während sich die anderen um den Lammbraten drängten.
    Der Wirt tauchte aus der Menge auf. Er trug das Fell, das einzige von dauerndem Wert, in die Küche. Dann kam er mit einem Knüppel und einem Kerl mit einer noch fettigeren Schürze und einem noch größeren Knüppel zurück.
    Antonin saß an seinem Tisch und trank aus einem echten Kristallglas – Wein, keinen Most. Mehrmals blickte er in meine Richtung.

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